Arminia 2022 (I)-Die Blauen: Vom Wahnsinn angetrieben (oder was auch immer)

Arminia 2022 – Jahresrückrundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Part I: Die Blauen

Einen echten Ohrwurm vorne weg: „Die Kurve singt für Dich, vom Wahnsinn angetrieben.“. Dieser Chant ist symbolisch für Arminia 2022. Wahnsinn. Was für ein globales Wort. Ein „nur schwer eingrenzbares, kaum zu definierendes und zum Teil widersprüchliches Phänomen“ sagt Wikipedia dazu. Das passt auch auf den DSC im letzten Jahr.

1 ½ Gesichter

Wir starten optimistisch ins neue Jahr. Die letzten Spiele des Jahres 2021 gegen Bochum und bei RB werden mit 2:0 gewonnen und unsere Blauen zeigen ein in weiten Teilen spielerisch überzeugendes Gesicht. Und so soll es auch weitergehen. Vier Spiele in Folge bleibt der DSC ungeschlagen. Nach dem 2:0 in Frankfurt findet sich Arminia auf Tabellenplatz 14 wieder- mit einigem Lob im Gepäck. Auch die Nicht-FIFA-Zocker wissen nun dank Patrick Wimmer, was eine „Rabona-Flanke“ ist. Auch die Leistung am Main macht Hoffnung auf mehr: Ein „Mentalitätsmonster“ ist unser DSC. Wow!

Arminia 2022

Ein schönes Gesicht, dass Ostwestfalens Gloria zu Beginn des Jahres zeigt. Trotzdem sind wir im Stadion (nicht Block 3, der ist noch pandemiegesperrt) und drum herum skeptisch. Das liegt nicht nur an unserer gewohnten Arminia-Paranoia. Wo unser Paddelboot im zweiten Bundesligajahr steht, können wir nur schwer ausmachen. Das 2:2 in Freiburg ist glücklich, beim 1:1 gegen Gladbach gelingen viele Dinge, die in 2021 noch nicht geklappt haben, allerdings sind die Fohlen vom Niederrhein trotz Tabellennachbarschaft um einiges flinker unterwegs als die Blauen.

Arminia 2022

Gegen den Tabellenletzten aus Fürth gelingt kaum etwas, über eine Niederlage hätten wir uns nicht beschweren dürfen. In Hoffenheim stehen dicke Fragezeichen hinter einer wackligen Defensive und einer kaum stattfindenden Offensive. Das ist das andere Gesicht, dass hinter der Rabona-Flanke und hinter Serras Tor von der Strafraumgrenze hervorguckt.

Arminia 2022
Du wirst nie untergeeeehn“

Aber solange das Mentalitätsmonstergesicht vorne ist…Die besucherbeschränkte Alm brüllt Arminia gegen Union Berlin voran, die Jungs kämpfen wie die Irren und gewinnen gegen Köpenick, sechs Punkte sind es auf die rote Tabellenzone. Wir gönnen uns sogar die Luxusdebatte, ob der frischgebackene Torschütze des Monats in Reihen der Berliner Gäste, ein gewisser Andreas Voglsammer, nun ein Verräter sei oder nicht.

Arminia 2022

Und dann isses weg, das gute Gesicht. Aus 1 ½ Gesichtern werden zwei. Oder eigentlich eins. Das zweite. Und das soll bis zum Jahresende nicht mehr so richtig verschwinden. Das 1:0 gegen die Eisernen im Februar ist der letzte Ligasieg bis zum Dreier gegen Eintracht Braunschweig. Und das ist nicht nur ein halbes Jahr, sondern ganze gefühlte Universen später.

Als erstes tritt der FC Augsburg unsere Jungs vom Rasen und entführt mit Effektivität und Cleverness die Punkte von der Alm. Das 0:3 gegen den Dauermeister von der Isar mag noch angehen, ebenso das 0:1 beim coronageschwächten Dauervizemeister von der Ruhr. Dann gibt es aber noch die Spiele, wo Punkte liegenlassen werden (Gegen Hertha und Stuttgart), die sang- und klanglos verloren werden (in Köln, in Bochum) oder wo sich die Blauen ohne Gegenwehr abziehen lassen (in Wolfsburg, in Mainz). In Mainz schreiben sie noch zwei Schlechtest-Marken in die Chronik: Drei Elfer in 15 Minuten und Tore von drei unterschiedlichen Elfmeterschützen fangen. Vor Arminia war noch kein Team so bräsig.

Arminia 2022

Während dieser Phase ziehen sich die Blauen vor allem Kopfverletzungen zu. Fabian Klos bricht sich zum zweiten Mal in seiner Karriere das Antlitz, seitdem muss er mit Gesichtsmaske spielen. Jedenfalls: Im ersten Quartal 2022 geht irgendwas beim gewesenen Mentalitätsmonster ganz fürchterlich kaputt. Daran ändert auch der Sinneswandel im Bezug auf Frank Kramer nichts. Der wird nach der Niederlage gegen die Alpenvorländer vor die Tür gesetzt, für das angekündigte „Durch-dick-und-dünn-gehen“ ist alles wohl doch zu dick (oder zu dünn).

Arminia 2022

Torwarttrainer Kosti übernimmt. Den erhofften „Impuls“ zum Ligaverbleib kann er aber nicht setzen. Es hätte auch keines Impulses, sondern eines gewaltigen Elektroschocks bedurft, um die schwarzweißblauen Walking Dead wieder zum Leben zu erwecken. Kosti kriegt zwar – um im Bild zu bleiben – ein bisschen Leben in den Torso reingepumpt, den Abstieg verhindert er aber auch nicht.

Arminia 2022

Hoffentlich liegt es nicht an Block 3, der ausgerechnet zu besagtem Augsburg-Spiel wieder besetzt werden darf. Aber nein, an uns liegt es nicht. Wir machen Stimmung und Alarm. Unsere Laune ist irgendwo zwischen Fatalismus und der Hoffnung, dass das Mentaliätsmonstergesicht – irgendwo muss es ja sein, es war ja da – doch noch die Zähne fletscht. Dass wir auf den Tribünen durchhalten, wissen wir und teilen es mit.

Auf der Alm…

…in Bochum…

…in Dortmund…

…oder in Köln. Hier ein Standbild, Ihr kennt den Text.

Arminia 2022
Abstiegsfeier und sowas wie Optimismus

Und so feiern wir beim Abschied aus der Bundesliga vor allem uns und Arminia als den zeitlosen Wahnsinn, zu dem wir ebenso zeitlos gehören. „Wenn wir auf die Fresse fliegen, stehen wir wieder auf!“- eine Aussage von Fabi Klos mit diesbezüglicher Symbolkraft, verbunden mit einer Tat mit diesbezüglicher Symbolkraft. Im Februar hatte unser Sturm-Stahlriese mit der Transformer-Maske seinen Abschied kundgetan…

…um dann doch noch ein Jahr am Teuto dranzuhängen.

Auch die Tränen von Torwart Stefan Ortega Moreno zeigen, dass Arminia etwas besonderes ist. Es verschlägt ihn in die Königsklasse- er kündigt aber an, als Fan auf die Alm zurückzukehren. Und das macht er auch.

Arminia 2022

Welches Personal soll nun wieder aufstehen? Mit Cedi Brunner, Jocke Nilsson, Amos Pieper, Mike van der Hoorn und Jacob Laursen zieht fast die gesamte Defensive in die Welt. Mit Wimmer und Schöpf gehen zwei wichtige Mittelfeldstrategen. Mit Fabian Kunze geht Fabian Kunze. Auch Talente wie Krüger und Müller machen die Abreise.

Arminia 2022

Neu sind…ach komm, machen wir bei den Neuen die Personalgespräche für 2022 im Schnelldurchlauf. Jomaine Consbruch kommt aus Braunschweig zurück und wird im letzten Drittel der Hinrunde eine echte Verstärkung. Christian Gebauer kommt auch aus der Leihe zurück, ist schneller als ein brennendes Wiesel, aber wohl eher zweite Reihe. Seine beiden Tore bisher für den DSC übrigens: Gegen Magdeburg und Bayern München. Das geht nur bei Arminia!

Arminia 2022

Oliver Hüsing ist nicht Amos Pieper. Frederik Jäkel ist eine Stahltanne wie Fabi, nur in defensiv und in schnell. Gleiches gilt für Lukas Klünter. Silvan Sidler ist nicht Frederik Jäkel und nicht Cedi Brunner. Benjamin Kanuric ist das, was die australische Trichternetzspinne für Giftallergiker ist: Verdammt schmerzhaft, wenn man in seine Fänge gerät. Marc Rzatkowski ist zehn Jahre älter. Dem alten Hund bringste keine neuen Tricks bei, aber die alten kann er noch. Torwart Martin Fraisl ist die wichtigste Neuverpflichtung bisher. Bastian Oczipka ist ebenfalls eine starke Neuverpflichtung.

Arminia 2022

Burak Ince und Georg Bello sind schon seit Beginn des Jahres 2022 Talente und bleiben es das ganze Jahre. Mehr auch nicht. Ivan Lepinjica ist leise, aber nicht unwichtig im defensiven Mittelfeld und wäre mit Sicherheit der „Was? Der ist bei uns im Kader?“-Typ des Jahres, wenn Mateo Klimowicz nicht auch gekommen wäre („Was? Der war mal bei uns im Kader?“).

Arminia 2022

Neuer Trainer wird der Schweizer Uli Forte, der auf dem Papier ganz passend erscheint. In den Testspielen gegen Piräus und Eindhoven wissen die Blauen spielerisch zu gefallen. Potenziell liest sich das nicht schlecht, das sollte doch eigentlich ganz fluffig…

Böcke und Knoten

…nee. Es geht noch schiefer als Fotos im Dunkeln. Arminia spielt dermaßen blutleer, dass sie damit gleich in der Bundesliga hätten bleiben können. Das Potenzial im Kader ist zu spüren, aber nicht zu sehen. Erst zeigt Sandhausen, dann Regensburg, dann Rostock unserem Ligakrösus, wie Zweite Liga eigentlich funktionieren sollte. Arminia hat das Mentalitätsmonster endgültig im Schrank verbuddelt.

Arminia 2022

Nach ein paar Wochen ist Uli Forte schon wieder Geschichte. Es knirscht an allen Ecken und Enden, die Mannschaft wirkt kopf- und herzlos, die Fans sind tapfer auf den Rängen und sauer außerhalb, die…haken wir kurz aus und schieben einen Exkurs ein.

Vom Wahnsinn angetrieben (oder was auch immer)

Die Mannschaft spielt lustlos, zumindest wirkt es so. Auf jeden Fall spielt sie kopflos. Konzeptlos. Woran das liegt, ist als Außenstehender nicht zu benennen, ohne in Spekulationen oder Unterstellungen abzudriften. Unstreitig ist, dass die Truppe deutlich unter ihren Möglichkeiten spielt. Liegt es am ausgeschiedenen Uli Forte, der den Kader nicht geformt hat, wie Arminia nach dessen Exitus sagte? Liegt es am Kader, der sich nicht formen ließ und sowieso falsch zusammengestellt war, wie Uli Forte nach dessen Exitus sagte? Außerhalb des Platzes haben Ottonormalarminen ihren Schuldigen, auch indirekt von Forte bedient, gefunden: Samir Arabi. Wie immer, wenn es nicht läuft.

„Arabi raus!“ ist genauso wie „Trainer raus!“ eine eingespielte Reaktion. In Fußballkrisen werden einfache Lösungen gefordert und dort umgesetzt, wo man am leichtesten ansetzen kann: An der sportlichen Leitung. Ob das zum Erfolg führt, ist fragwürdig. Im Moment hat sich die Arabi-Raus-Manie des schwarzweißblauen Umfeldes zu einem Punkt gesteigert, an dem es offenbar allein schon damit getan ist, den Geschäftsführer Sport zu feuern und alles wird automatisch gut. Aber…öhm…was und wer kommt denn dann? Eine Newbie, und mit dem wird dann automatisch alles besser?

Arminia 2022

Arabis Verdienste sind unbestritten. Arabis Fehlgriffe allerdings auch. Und irgendwann ist auch mal der Lack ab. Hierzu ist aber auch festzuhalten, dass Arabi seine Fehlgriffe in der Vergangenheit bisher meistens korrigiert hat. Ich bin bei „Arabi Raus!“ vorsichtig (vom wunderbaren satirischen Stilmittel mal abgesehen). Wenn mir jemand die Frage „Und dann?“ mit einem wasserdichten Konzept beantworten kann… Ich weiß es doch auch nicht…gutes Stichwort, und zum Jahresrückblick zurückzukehren, da hat Arminia gerade Null Punkte aus vier Spielen.

Immerhin…aber…

Fortes Nachfolger Daniel Scherning trifft auf Balltreter, denen man vom Block aus wahlweise die Ohren langziehen oder einen Trost-Teddy in den Arm geben will. Scherning fährt jedenfalls die ersten Punkte, Siege und Achtungserfolge ein, wenn auch alle aktiv und passiv Beteiligten nicht immer genau wissen warum. In Heidenheim ist es ein Glücksschuss von Robin Hack, in Darmstadt ein Last-Minute-Treffer desselben.

Arminia 2022

Gegen Braunschweig und St.Pauli zeigen die Blauen über weite Strecken ein ordentliches Spiel. Ist jetzt der Bock, die Kuh, der Elefant, der Brontosaurus umgestoßen? Irgendwie nicht- sonst wäre die kopf-/blut-/konzeptlos- Niederlage beim alles andere als formstarken 1.FC Nürnberg nicht passiert….

50 Shades of „Nein“

…oder der ganze Oktober, vom eben erwähnten Spiel gegen St.Pauli abgesehen. Einfach hinterlaufen, rein spielen und drin? Endlich lernen, wie Standards funktionieren? Sei Fortuna Düsseldorf und habe Arminia zu Gast. Wollen, aber nicht tun? KSC sagt Danke.

Arminia 2022

Tiefpunkt des Jahres beim Pokal in Stuttgart. Da war auch der letzte überfressen. Hannover? 0:2. Für ein paar Zeitabschnitte sogar Gegenhalten im Spiel. Bringt aber weder Tore noch Punkte. Fürth? Verloren, Tabellenletzter. Und Scherning will nichts von individueller Qualität wissen. Ist aber trotzdem da. Irgendwo. Im Schrank beim Mentalitätsmonstergesicht. Welcher Schrank? Keine Ahnung.

Arminia 2022

Wir gehen ebenso tapfer in die letzte Woche des Fußballjahres wie auch in die Spiele vorher. Denn: Unsere Stimmung ist gut, unser Support laut. Vom zeitlosen Arminia-Wahnsinn angetrieben. Was bleibt uns auch anderes übrig?

Arminia 2022
3 Shades of „Vielleicht“

Gegen Kaiserslautern die nächste Niederlage. In Unterzahl. Die bei Elf-gegen-Elf vermutlich keine Niederlage gewesen wäre. Denn in diesem Spiel stimmen die Kämpfertugenden. Hier haut sich Arminia eeeeeendlich mal rein und macht zwischenzeitlich aus einem 0:2 ein 2:2. In Paderborn kommt den Blauen der frühe Platzverweis von Heimkeeper Huth gleich mehrfach zugute: Einmal zieht es den ambitionierten Nachbarn den Zahn, damit kann sich Arminia, den kämpferischen Tugenden aus dem Lauternspiel durchaus gewärtig, einspielen und einen wichtigen Dreier einfahren.

Arminia 2022

Und beim letzten Spiel gegen Magdeburg spielen sie endlich so, wie man es sich eigentlich erhofft. Ruhig, mit Einsatz, individueller Qualität (ja, Daniel Scherning, die hat dazu beigetragen) und Effektivität. Das erste wirklich gute Spiel. Im November. Seit Februar.

Weiter im Wahnsinn

Greifen wir nochmal auf Wikipedia zurück: Wahnsinn – Ein nur schwer eingrenzbares, kaum zu definierendes und zum Teil widersprüchliches Phänomen. Wie Arminia 2022. Arminia ist nur schwer eingrenzbar. Wo stehen wir eigentlich? Stoßen die Blauen noch in höhere Tabellenregionen vor, indem sie ihr Potenzial auf den Platz bringen? Oder knoten wir die nächsten Böcke oder bocken die nächsten Knoten?

Kaum zu definieren…zu definieren war Arminia ja noch nie, aktuell heißt das: Wie geht es konzeptionell weiter? Kriegen wir das mit dem Ausbildungsdingenskirchen jetzt hin? Und dann noch das zum Teil widersprüchliche Phänomen. Auch das war Arminia immer schon. Zwei Gesichter haben wir kennengelernt. Im letzten und in diesem Winter (eigentlich ja Herbst, aber in Paderborn war es schon kalt) war es das Mentalitätsmonstergesicht. Zwischendrin das Gebt-uns-einen-Trostteddy-Gesicht.

Arminia 2022

Wir wissen nicht, welches Gesicht wir wann, wo oder wie oft zu sehen bekommen. Da ist nur das Gefühl, dass es einer Gesichtsmaske bedarf (schon wieder der Klos als Symbol), um das Monstergesicht dauerhaft zu zeigen. Und da ist trotz allem die Hoffnung, dass alle miteinander diese Maske finden. Ich fürchte, das bleibt länger offen und damit auch länger spannend, was die rote Tabellenzone betrifft. Ich glaube aber, dass es reichen wird. Oder hoffe. Oder träume. Vom Wahnsinn angetrieben.

Ziemlich viele offene Fragen…von 2022 bleibt eine große Unsicherheit.

Fest steht jedenfalls, dass wir alle weiter hingehen und weiter mitfiebern. Wenn es überhaupt etwas Schönes in 2022 gab, dann die Erkenntnis, dass wir klassen- und zeitenunabhängig zu Arminia gehen. An dieses unseres schwarzweißblaue Lagerfeuer. Arminia hat uns und wir haben uns. Vom Wahnsinn angetrieben.

In 2022 hat der Rundumbeobachter übrigens die „Fußballfibel DSC Arminia Bielefeld“ geschrieben. Da stehen viele Lagerfeuergeschichten drin, die sich auch in 2023 lesen lassen. Hier gibt es das Ding. Oder bei Thalia. Oder bei amazon. Oder im Fanladen. „90 Minuten Arminia“ habt Ihr schon…?

Arminia 2022 Part II: Die Blauinnen

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