Arminia gegen Bayer Leverkusen 2:1 – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent
„Scheiße, Leverkusen…“, heißt es vor dem Ligaspiel gegen Stuttgart II, als das Los gezogen ist. Und: Ja, das ist Scheiße. Die wahrscheinlich spielstärkste Mannschaft des Landes (nicht die effektivste, aber spielstärkste), der amtierende Meister und Titelverteidiger im Wettbewerb.

Da hat der Rundumbeobachter etwas Schönes gelesen, in irgendeinem sozialen Netzwerk: „In 99 von 100 Spielen gewinnt Leverkusen das.“ Eine passende Einschätzung. Alles spricht für die Werkself vom Rhein, die zudem im Vorfeld angekündigt hat, Respekt vor Arminia und der Alm zu haben und das Spiel ernst zu nehmen.

Aber was, wenn es jetzt doch das eine von den 100 Spielen ist…? Komisches Gefühl in der Zeit zwischen Feierabend und Almauftrieb. Die besondere Anspannung, die Pokalspiele grundsätzlich mit sich bringen gepaart mit einer speziellen Nervosität: Man will träumen, verbietet sich das Träumen aber hartnäckig. Ab zur Alm, bei diesem Hirnkarussell fällt einem jede Decke auf den Kopf.

Rund um Lohmanns Acker ist ebenfalls eine besondere Anspannung zu spüren. Dieselben Begrüßungen wie immer, dieselben Scherzworte wie immer, aber in der Luft, in jedem Kopf der Fokus auf das, was man nicht zu träumen wagt.

Block 3 stapelt tief. „Ein Tor will ich. Einmal will ich jubeln. Mehr erwarte ich nicht.“ Und erwartet es doch und verbietet sich, mehr zu erwarten. Die Spannung wird überwitzelt. „Ach ja, zum Pokalhalbfinale biste da.“ – „…Frechheit!“

Der Vorsänger von Block 1 stimmt die gesamte Alm ein. „Alle die Fäuste!“ Und alle haben die Fäuste gereckt, in jeder Himmelsrichtung des Stadions. „Schwarzweißblau ist unsere Welt!“- und das knallt! Ostwestfalen ist bereit, das Stadion Alm, so verkündet die Choreo, uneinnehmbar.

Das eine Spiel von hundert? Beim Anstoß steht es zumindest 0:0. Nach zwei Minuten achtzehn auch.

„Leverkusen soll wohl eine gute Mannschaft sein“, sagt Block 3. Habe ich auch von gehört. Vier Minuten sind von der ersten Halbzeit durch, als Leverkusen erstmal eine Drecksmannschaft ist. Dass Frimpong nach einem Zusammenstoß länger stirbt als die lippische Möbelindustrie mag ja noch angehen, was sterbende Möbelindustrien betrifft, bekleckert sich Arminia im Verlauf des Abends auch nicht mit Ruhm. Aber Kersken kann von Glück sagen, dass ihn die offene Sohle des Leverkusener Angreifers nicht erwischt hat.

Jeden Ballkontakt feiern, bei jedem gewonnen Zweikampf brüllen- auch heute ist die Alm voll da. Nach acht Minuten steht es 0:0. Nach 14 Minuten steht es 0:0. „Das haben wir schonmal geschafft“, hechelt Block 3. Nicht träumen. Nicht… lasst es…

Nach 17 Minuten steht es 0:1. Da sind sie schneller, die Leverkusener im Allgemeinen und Jonathan Tah im Besonderen. „Scheiß Weltmeister“, motzt Block 3 (war Tah damals dabei?). Es ist eingetreten, was zu erwarten war und was man doch nicht erwarten wollte. Nicht mehr träumen? Sich verbieten, traurig zu sein, weil man sich doch lieber das Träumen verbietet? Bockig werden die Chants lauter: „Voran Arminia Bielefeld, der Club, der uns am Leben hält!“. Stur, hartnäckig, kämpferisch.

Oppie da vorne. Spielt rein. Ball ist weg, nein, WÖRLIIIII, JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA! AllenUmdenHals- TanzenJubeln- JAAAAAAAAAAAAA!

Der erste historische Moment des Abends. Marius Wörl, letztes Jahr noch tragische Pokalfigur, erzielt Arminia Bielefelds erstes Tor in einem DFB- Pokal- Halbfinale. ESPN will herausgefunden haben, dass Wörli mit drei Toren und drei Vorlagen der beste Scorer des diesjährigen Wettbewerbs ist. Mag sein, jetzt ist der falsche Moment zum Nachprüfen.

Anspannung. Aber mit dem 1:1 ist es eine andere. Es könnte gehen. Besser nicht träumen, aber es. Könnte. Was. Werden. Block 3 meint zwar „Ist nicht schlimm, ich bin besoffen“, aber das dürfte auch nicht helfen. Auch Leverkusen ist verwundbar. …vielleicht geht was? NichtdrandenkenNichtträumen… Das kann doch nicht…

„Allez Alleeez, Deutscher Sportclub Alleeeez!“, brüllt die Alm mit allem, was die Lungen hergeben. Bazee, KOMM, MACH IHN….NEEEEEEIN…aaaaaargh… es geht was…Ja? Nein? Die ganze Alm steht, die ganze Alm brüllt und feiert jede gelungene Aktion. „Deine Fahne wird für immer weiter weeeehn!“

„Bielefeld, Bielefeld, Bielefeeeeeld!“ Die Anspannung wächst. Unten vor der West, auf der Kommentatorenbank, hängt Fabi Klos, die Legende, vorn übergebeugt, ebenso voller Strom wie wir alle. Freistoß von links. Da auf der anderen Seite vor der Nordtribüne. Oppie und Russo am Ball. „Jetzt machen sie’s“, japst Block 3, „jetzt machen sie’s…“

Oppie…unddas DinGSCHLÄGTEINJAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA! Esist…dasist…JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA! JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!

Der nächste historische Augenblick. Maxi Großer, Saisonauftakt- Last- Minute-. Held, sorgt für die erste Führung von Arminia Bielefeld in einem DFB- Pokal- Halbfinale. „IchhabsgesagtIchhabsgesagt…“, die Stimme überschlägt sich. Diese Gesichter zur Pause… strahlend… aber ungläubig… „Ist das irre…“ Hier passiert etwas, das hat Arminia noch nicht erlebt.

Halbzeit. „Kannst Du das überhaupt lesen?“ Manchmal.

„Eines Tages, da spielt der Deutsche Sportclub im Finale, Finale von Berlin“. Ja, eines Tages… ist der wirklich jetzt? Kopschütteln… „Ey, Wahnsinn, so ein Wahnsinn, wenn die das packen“. Vier Minuten sind von der zweiten Halbzeit durch, als Leverkusen erstmal eine Drecksmannschaft ist. Für Hincapie spricht, dass er sich sofort entschuldigt, als er Sarenren Bazee völlig übermotiviert abwirft.

Allerdings wirkt die Ausrede, er habe den Ball zum Einwurf an die Seitenline befördern wollen, etwas fadenscheinig. Selbst der Rundumbeobachter als gefürchteter Grobmotoriker wäre nicht so blöd, einen Ball aus Versehen nicht nach links (zur Seitenlinie) sondern geradeaus zu werfen. Keine Absicht… na ja, hat von Block 3 mit ziemlich guter Sicht anders ausgesehen. Ob Sarenren Bazee dann die lippische Möbelindustrie machen muss, ist eine andere Frage.

Wenn hier „Drecksteam“ steht, ist das übrigens ausdrücklich nur auf Ballwerfer, offene Sohlen, schnöselhafte Double- Sieger, Rasen- Gießen- Rumjauler und Patrick Schick (grundsätzlich!) bezogen. Nicht auf die Fans, die am Tag danach zwar Kritik am eigenen Team äußern, aber fair und anständig gratulieren, ohne das zu müssen. Euch gönne ich das Double der Vorsaison und in der Zukunft alles Gute.

55 Minuten durch. „Halbe Stunde noch“, röchelt Block 3. Na ja, ein bisschen mehr sind es dann doch. Zuviel? Riecht es nach Sensation? Lieber nicht schnuppern… ja, besser weiter das Träumen verbieten… nicht am Ende enttäuscht sein müssen, obwohl man es gar nicht sein muss, es aber trotzdem ist… auf die Spielzeit gucken… oder besser nicht auf die Spielzeit gucken? „Wir sind immer dabei, ob nah oder weit, in Ewigkeit!“
Und Arminia spielt selbstbewusst, mit Kampf, mit Energie. Jetzt sind die Blauen schon etwa zehn Minuten sogar spielerisch überlegen… GrodowskiAAAAARGH! „Ey, wenn die das schaffen“, es ist einfach unvorstellbar… Arminia, auf und nieder, immer wieder, Arminia, die aus der ersten in die dritte Liga stürzt, die 2:2 gegen die Zweite von Hannover spielt, … wirklich WIR!?!? jaaa, ey, wenn die das schaffen…was dann… keiner hat kann sich das vorstellen…

Die Alm brüllt, die Alm wirft alles rein. Und Arminia wirft auch alles rein. Schlussphase, KERSKEEEEN, JAWOLL! VerdammtSchick..JAAA, daneben (eigentlich Pfosten). 85 Minuten durch. Nerven blank auf Block 3. „Ihr seid dran, Jungs, IHRSEID DRAN!“, „Ich fasse das nicht, Ich fasse das nicht, Ich fasse das nicht, “, die Sensation rückt näher… und ein ganzes Stadion ist konfrontiert mit ungläubiger Vorfreude und der Angst vor der Enttäuschung. Last- Minute- Leverkusen? „ARMINIA BIELEFEEEEELD, NUR DU BIST DAS, WAS ZÄHLT“, aus allen strapazierten Kehlen, mit voller Wucht. Drüben auf der Ost stehen sie… auf der Nord, der West…

Sechs Minuten Nachspielzeit. RAUS, JAWOLL! „OSTWESTFALEN, OSTWESTFALEN, HEY, HEY!“, Leverkusen spielt nach vorne. SCHLUSS JETZT…, PFEIF‘ AB! Donnerndes Pfeifkonzert, dass die Ohren weh tun…. Ecke, jawoll, spiel es runter..JAWOLL! NOCHMAL ECKE! Spiel es runter…Mist… verdammt, Young, warum verlierst Du den Ball? Leverkusen spielt nach vorne. RAUS, DAS DING! JAWOLL, BIANKADIII, KOMM, Mist und dann…

Am 9.Mai 1981gab es ein legendäres Arminia- Spiel, das damals den Bundesliga- Klassenerhalt bedeutete. Als in der Nachspielzeit das 3:2 gegen 1860 München fiel, soll man den Jubel bis Brackwede gehört haben. Heute ist der 1.April des Jahres 2025. Es ist 22 Uhr 42. Und das legendärste aller Spiele in 120 Jahren Vereinsgeschichte ist gewonnen. Und den Jubel hat man bis Rheda gehört. Wir fahren WIRKLICH nach Berlin!!!
Feiern mit der Mannschaft. Lange. Corboz macht noch eine Ansage. Ehrenrunde. Und es könnte sein, dass der Rundumbeobachter ein kleines bisschen geheult hat. Arm in Arm mit dem ebenfalls heulenden Block 3.


Arminia Bielefeld schafft historisches. Das hat man oft gelesen. Und das schreibt sich auch einfach. Wie sich das anfühlt, ist kaum zu beschreiben. Wer es länger als drei Jahre bei und mit Arminia aushält, hat in der Regel jede Form von positivem und negativem emotionalen Extrem erlebt. Aber das hier ist noch’n Tacken drüber. Geträumt haben wir alle davon, spätestens seit 2005, als Arminia das erste Mal im Halbfinale stand. Wie man ein Halbfinale mit Größe meistert, hatten wir vor zehn Jahren in der Gänsehautentzündung. Nun ist es tatsächlich geschafft. Eine Mischung aus riesiger Freude, Erleichterung… und immer noch Fassungslosigkeit. Es ist kaum zu beschreiben. Und vielleicht muss man das auch gar nicht. Einfach genießen! Wahnsinn! WAHNSINN!

Empfehlung: Die „Fußballfibel DSC Arminia Bielefeld“ mit jeder Menge schwarzweißblauer Lagerfeuergeschichten. Das Buch gibt es bei Thalia. Oder bei amazon. Oder im Fanladen. „90 Minuten Arminia“ habt Ihr schon…?



