Arminia gegen Bochum – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent
Mal wieder ist eine Sommerpause um. Die Stunde Null bei Arminia (auch mal wieder) ist vorbei getickt, zum ersten Heimspiel steht mit Arminia gegen Bochum die erste Runde im DFB-Pokal an.
Nun, Stunde Null. Nach der Vorbereitung und dem Saisonauftakt in Dresden ist man leicht neugierig, stellt aber keine Ansprüche. Der Rundumbeobachter wünscht sich von der Saison eigentlich nur, wieder mehr Grund haben, zur Alm zu gehen als nur „Ist halt Heimspiel.“. Von einer Arminia wieder abgeholt zu werden mit Einsatz, Leidenschaft und ab und an mal nettem Ballsport. Klingt simpel, aber die letzten anderthalb bis zwei Jahre sitzen tief.
Die Luft auf der Alm ist so wie die in Rundumbeobachters Küche, wenn er die gerade durchgelaufene Spülmaschine öffnet. So gesehen ist es gar nicht so falsch, zum Anpfiff mal wieder im Eingang von Block 3 stecken zu bleiben. Dort weht nicht nur ein angenehmer Wind, man bekommt außerdem nichts von den Wassermassen ab, die der Himmel etwa ab Spielminute Fünf auf das Spielfeld kübelt. Außerdem kriegt man mit, wie Ostwestfalen versuchen, mit dem Phänomen Menschenstau im Tribüneneingang umzugehen. „Wie komme ich da jetzt hin?“. Tja…schau Dich um, siehe eine Masse Leiber, schätze Deine Chancen ein…
Natürlich könnte man „Wie komme ich jetzt da hin?“ literarisch als Vergleich des Auftritts der Blauen verwursten. Bei dem, was zu sehen ist (nicht viel, das ist leider der Nachteil am Eingang zu Block 3), scheint das aber nicht zu stimmen. Arminia scheint zu wissen, wo es lang geht und wo es hingehen soll. Das Wetter erlaubt zwar kein gepflegtes Kurzpass-Taka-Tuka, aber die eine oder andere schneidige Schlittergrätsche ist dabei und das erfreut die Südtribüne. Einstellung und so. Verbessern wir die Sicht mal ein bisschen…ja, so ist besser. Da fällt gleich das 1:0…
Der Ball saust in die Mitte, Shipnoski kommt herangeschlittert und ZACK-JAAAAAAAA! Von hinten kommen die Leute in den Eingang von Block 3 – „Was?! TOR!!??“ und werden gleich mal mit vom Jubel verschluckt. Und nach einem mittellauten Support zu Beginn geht die Süd nun gut ab. Und die Etimmung explodiert endgültig, als Merv Biankadi den Ball durch ganz Bochum ins Netz feuert.
JAWOLL, JAAA, JAWOLL! Zugegeben, Perfekt zu sehen waren die Tore nicht, aber zu fühlen!Soviel Freudengefühl, unbelastet von irgendwelchen Tabellen oder irgendwelchem Knatsch, gab es lange nicht mehr. Vor allem, wenn man miterlebt wie Arminia die Tore schießt. Mit Übersicht, mit Wucht, mit dem Willen, sich durchzusetzen. Das hat echt verdammt lange gefehlt!
Der Eingang von Block 3 bleibt derweil ein eigener kleiner Kosmos, in dem die situative Intelligenz ausgesprochen regionaltypisch ist. „Wenn man draußen ist, kommt man nicht wieder rein“, stellt ein Mit-Armine fest. Der gerade rausgegangen ist. Man braucht nicht zu erwähnen, dass er natürlich trotzdem wieder reinkommt. „Du kommst nicht vor, Du kommst nicht zurück“ und geht trotzdem vor und zurück.
Wie schwer die Zeit seit Februar 2022 auf den schwarzweißblauen Seelen lastet, zeigte sich im Smalltalk vor dem Spiel. Von einer klaren Niederlage wurde ausgegangen. 0:4. Oder 1:5. Oder Klatsche. Jedenfalls nicht wirklich optimistisch. Der Rundumbeobachter tippte 2:5 und den Lerneffekt sowohl aus zwei geschossenen als auf fünf kassierten Kisten. Aber heute gibt eine komplett neue Startelf ihr Almdebüt, heute ist es eine andere Arminia! Die Blauen kämpfen auf dem Platz um jeden Ball. Die Alm feiert jeden Kampf um den Ball.
Sowas brauchen wir! Und eine 2:0-Führung facht das gleich nochmal an. Jetzt noch etwas bessere Sicht wäre schön. Als ab der 40.Minute der Halbzeit.Versorgungs-Pendelverkehr der Süd losgeht, bringt sich der Rundumbeobachter in Enterposition und sieht zum ersten Mal das eigene Tor….und das Bochumer 2:1. Blärg.
Halbzeit. Woran erkennt man, dass wir alle wieder da sind? Schlange vor der Kartentanke in der Pause: „Ich bin wieder da“ – „Ich bin auch wieder da.“ – „Nee, ich bin wieder da, höhöhö“ – „Jetzt ich: Ich bin wieder da.“
So, jetzt aber Block 3. Sind wir da auch wieder da nach der Sommerpause? „Keinen Kopfball gewinnt der, keinen Kopfball!“ – „Ich trage schwarz, höhöhö [klappt einen schwarzen Regenschirm auf]“. Jou, alle wieder da.
Die Gäste vonner Castroper drängen auf den Ausgleich. „Die Bochumer sind so leicht sauer“, stellt Block 3 treffend fest, als die Spieler des VfL zwar ziemlich flink nach vorne spielen, aber immer wieder ein Arminenkörperteil im Weg haben. Der SchiRi ließ eine Menge laufen, wenn gepfiffen wurde, dann meist für Bochum. War nicht entscheidend, soll aber nicht unerwähnt bleiben.
Der VfL greift an. Der VfL lässt den Ball laufen. Arminia kämpft. Der Arminia schmeißt sich rein. Die Alm feuert an. Die Alm brüllt. Schnappatmung, als Bochum aus fünf Metern drüber schießt. Block 3 ist nervös: „Macht dat Scheiß DreiEins!“. Danach sieht es aber nun gar nicht aus. Zur allgemeinen Entspannung klaue ich mal ein Bild von der Frauen-WM- so holt der clevere Merv Biankadi bei einem der wenigen Entlastungsangriffe einen Einwurf heraus:
Passt noch nicht mal Butterbrotpapier zwischen. Anspannung, Schnappatmung, Fight oben und unten. Weiter Druck des VfL, doch Arminia kämpft, kämpft, kämpft. Trotzdem gelingt Bochum in der Nachspielzeit das 2:2. Unentschieden nach 90 Minuten, unentschieden nach 2:0-Führung. Die Reaktion des Publikums ist interessant: Kein „Typisch Arminia“, keine Enttäuschung, sondern aufmunternder Applaus und weiter Anfeuerung. Block 3 sagt: „Kein ständiges Hintenrum, kein lustloses Rumlaufen, immer probieren, auch wenn sie platt sind.“. Nee, nee, war tatsächlich als Lob gemeint.
Und obwohl es in die Verlängerung geht, ist das schwarzweißblaue Publikum optimistisch. Mit müden Beinen, gegen einen Gegner, der zwar der VfL Bochum, aber immerhin Bundesligist ist. Und diese lang nicht mehr gehabte positive Stimmung ist ein erster kleiner Teilerfolg dieser neuen Mannschaft unter Mitch Kniat.
„Bei uns lassen sicher die Kräfte nach, gegen den Bundesligisten“, unkt Block 3, als die Extra-Spielzeit angepfiffen wird. Na ja…da auch die Dritte Liga als Profiliga gilt, ist das mit den Konditionsunterschieden wohl eher Seemannsgarn. Vielmehr sind beide Teams platt. Bochum versucht, Druck aufzubauen, aber die Stockfehler nehmen zu. Der DSC versucht zu entlasten, kommt aber nicht wirklich konzentriert ins Konterspiel.
Bei Manuel Wintzheimer sieht man von der Tribüne, wie die Oberschenkel beben. Übersetzt auf Block 3 heißt das: „Jeden Ball verliert der, jeeeeden Ball.“. Trotzdem rennt er allem hinterher, was nach Ball aussieht. Und die Alm brüllt. Tapferes Ostwestfalen. „Was ham die für Elfmeterschützen?“, fragt Block 3 – „Weißichnich“ – „Wir?“ – „Weißichauchnich“ (ist halt gerade Saisonbeginn). Es gibt Elfmeterschießen. Wie sich das gehört, wenn der DSC Arminia Bielefeld drittklassig ist und im DFB-Pokal spielt.
Also hinein in den Krimi. Anspannung steigt, Hände krampfen sich ineinander oder in die Schultern der Vorderleute (obwohl auch dabei leichter Optimismus zu spüren ist). Sie schießen auf unser Tor. Fabi als erster. WUMM! Jaaaa, Erleichterung. Ein donnerndes Pfeifkonzert empfängt Philipp Hofmann. Bochums Sturmramme war ziemlich abmeldet in den 120 Minuten und jetzt…JAAAA DRÜBER! Abklatschen, Fäuste ballen, kurz lächeln. Kurz. Gohlke für uns. KRAWOMM! JAWOLL! Einen vor! Mannomann, die Spannung. Drei Reihen tiefer ist einer am Heulen.
Stöger, der Bochumer Käptn. Guckt irgendwie komisch. Und spielt einen Rückpass auf Kersken. Will sagen: JAA! JAAAAA! JAAAAAAAA! Sich selber und die Nebenleute durchschütteln. Dann wieder Hände vors Gesicht. Wintzheimer, Mann, der war doch schon platt…JAAAA! DRIN! Masovic für Bochum, Kersken fliegt in die Ecke aber…auch drin. Ein „Oooouh“-Laut auf der Süd. Dann Kaito Mizuta….
DAS IST DIE ZWEITE RUNDE! Riesiger, unglaublicher Jubel! Die Truppe fällt vor der Süd übereinander her, die Süd fällt auf der Süd übereinander her. Nach einem irrsinnigen Kampf, nach zwei Gegentoren in der Nachspielzeit, mit unglaublich viel Kampf und Leidenschaft besiegen die Blauen den VfL Bochum! Und das Publikum dankt es mit Anfeuerung und Applaus!
Natürlich kann man anmerken, dass Arminia die Tore zwar gut herausspielt, die Bochumer Defensive bei beiden Treffern aber alles andere als sattelfest war. Natürlich kann man jetzt ins Feld führen, dass die schwarzweißblaue Abwehr bei den Gegentoren auch nicht wirklich fest in jenem Sattel saß. Aber bei so einem Einsatz, bei so einem Willen öffnet der leidgeplagte ostwestfälische Fußballfreund doch gern wieder sein Herz. Die Narbe des Doppelabstiegs sitzt zwar noch tief, aber dieses Team ist dabei, sich jede Chance auf Anerkennung zu verdienen.
Mal ehrlich, so glücklich und unbeschwert (vor allem) sind wir das letzte mal von der Alm gegangen, als Corona noch ein mexikanisches Bier war. Wat sacht Block 3? „Dat war ja mal was Feines!“
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