Arminia gegen HSV 2:0 – Darf man jetzt auf einen Dreier hoffen?

Arminia gegen HSV 2:0 – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Manche Dinge lernt man nie. Rundumbeobachter, Du schreibst jetzt folgendes auf: Wenn die Alm ausverkauft ist, lässt Du den Samstag nicht gemütlich angehen, fährst früh rüber zum Tempel, quatscht Dich nicht überall fest, ziehst Dir keine Pizzaschnitte rein, sondern bist mindestens’ne Dreiviertelstunde vor Anstoß auf Block 3. Dann bleibste nämlich nicht wieder im Eingang stecken wie heute bei Arminia gegen HSV und unzählige Male davor.

Arminia gegen HSV

So, jetzt habe ich das aufgeschrieben, es wird gaaaaanz bestimmt beim nächsten Mal funktionieren. Alm ist voll bis unters Wellblechdach. Stimmung und Kribbeln beim Freundschafts-Stimmungs-Gegen-Tabellenführer-Spiel sind zwar vorhanden, leiden aber ein bisschen unter der nasskalten Witterung. Laut wird es, als Reinhold Yabo in Stadion und Startelf willkommen geheißen wird.

Arminia gegen HSV

Rund um den verstopften Eingang sind Teile von Block 3 im erweiterten Wahrnehmungsmodus: „Ey guckma, haste gesehen, dass auf der Anzeigetafel die Zeit in Sekunden mitläuft?“. Aber nicht alle Teile: „…und!?“. Der Rundumbeobachter gönnt sich einen Löffel erweiterte Wahrnehmung. Von 0:27 bis 0:33 hat der HSV das erste Mal Ballbesitz. Und im folgenden übernehmen unsere freien und hanseatischen Freunde das Spiel und haben die erste Torchance.

Von den Voraussetzungen her sind die Rothosen Favorit und legen auch genauso los. Arminia zieht sich zurück. Eyeyey, ist das denn eine erfolgversprechende Taktik? In Dresden lief es zwar, aber sind die Blauen grundsätzlich schon wieder so weit, dass das Saibenesche „Immer für ein Tor gut“ zieht? Schwierige und riskante Frage. Außer für Block 3 natürlich. „Nich so feige daaaa!“.

Aber die schwierige Frage erledigt sich von allein. Sakai notbremst den durchgebrochenen Vogi und darf alleine duschen, wenn er es denn nach elf Minuten überhaupt schon muss. Rote Karte gezeigt, alle anderen Karten neu gemischt. Geistiges Oberwasser auf dem von schwierigen Fragen befreiten Block 3: „So Leute, lass mal was ma Ergebnis tun“. Es folgt eine merkwürdige Freistoßvariante, die im Fangnetz endet.

12,22 Prozent der Spielzeit sind absolviert. Der HSV hat sie bestimmt. Und die schwierigen Fragen sind durch. Was hätten die Rothosen bei Elf gegen Elf und Ballbesitz mit unseren Freischwimmern in der Abwehr angestellt? Wie hätte Arminia bei Ballbesitz ausgesehen? Kann alles in die Ablage. Der HSV verliert in Unterzahl die Linie und hat sie vermutlich erst auf der A2 in Höhe von Uetze wiedergefunden.

„Ouuuh!“s auf der Süd. Mehr als die „Ouuuh!“s gibt es nicht im Eingang von Block 3 als Indikator dafür, dass Arminia Torchancen hat, die Sicht ist doch etwas eingeschränkt. Auch das 1:0 durch Vogi erkennt man nur am Jubeln, herzen, Arme-durch-die-Gegend-schleudern. Ein cooler Torjubel! (Gibt es uncoolen Torjubel?) Vor allem, wenn man nichts vom Torschützen gesehen hat, dessen Fuß doch wirklich ziemlich hoch war. Erst nachher, und dann war es egal. Zu ahnen war der Grenzwert der Szene nur daran, dass Lewis Holtby das macht, was er eigentlich immer machte, seit er irgendwann mal aufgetaucht ist: Den Stehgeiger. Diesmal beim SchiRi. Gelb.

Darf man jetzt auf einen Dreier hoffen? Ausgesprochen wird nichts. Ist vielleicht besser, das bleiben zu lassen und sich auf das Spiel zu konzentrieren, da geht es nämlich munter weiter auf das sichtverdeckte Tor. Seufert bringt den Freistoß. Ray feuert ab. Dass Pollersbeck gehalten hat, sieht man am zurückspringenden Ball und Lord Börner, der hinläuft und auf Ray zurückspielt. Der feuert wieder, das Tornetz flattert, Rest muss man nicht gesehen haben, um zu kapieren, dass Return Ray das 2:0 erzielt hat. Die Süd fällt übereinander her, einige tanzen durch den Eingang bis hin zum Krankenwagen.

Der Name des Torschützen wird nochmal doppelt so laut gebrüllt wie bei der Mannschaftsaufstellung. No Limit dröhnt über die Alm. Der Kopf ist heute ein anderer. Auf dem Platz, wo die Blauen den Ball laufen lassen und defensiv endlich mal stabil stehen. Auch auf den Tribünen ist der Kopf ein anderer. Einen 50-Meter-Fehlpass ins Seitenaus kommentiert Block 3 mit

„Passiiiiert…“. Noch vor ein paar Spielen wäre es eine ganz andere Reaktion gewesen. Dass die Blauen zur Halbzeit auch gegen Fürth mit 2:0 vorne lagen, spielt überhaupt keine Rolle, keine Gemecker, keine Schwarzmalerei. Sogar ein „Wuuuhuuu“ ist auf der Süd zu hören!

Halbzeit. Block 3 versorgt sich mit frittierten und kommentierten Kartoffelschnitten. „Wenigstens die Pommes schmecken“. Eine Aussage mit dem Charakter des Ewigen.Wenn sie in ein paar Jahrhunderten Ausgrabungen machen, werden sie zwischen den Alm-Ruinen eine antike, angegammelte Pommes-Papierschale mit antiken, angegammelten KetchupMayo-Flecken finden und sagen: „Wenigstens die Pommes haben geschmeckt“.

Mit Block 3 ist es wie mit Parkplätzen Samstag mittags in der Innenstadt: Wenn der erste Schwung durch ist, kann man abstellen. Da der Rundumbeobachter das weiß, steht er in der zweiten Halbzeit hinterm Zaun. „Schnee liegt in der Luft“, verkündet Sebi Wiese und hat recht. Auf dem Rasen liegt er nicht. Der wird dafür schwer bespielbar. Dem dezimierten, aber spielerisch starken HSV wird so ein kontrolliertes Spiel nur schwer möglich. Und Arminia muss nicht. Tja. Wat erzählste von einer fast komplett torchancenfreien zweiten Halbzeit?

Nun, da wäre zum Beispiel die Stimme hinten rechts, die in einer so hohen Frequenz mitbrüllt, dass Ultraschall neidisch wird. Und wie immer, wenn das Geschehen auf dem Platz seicht hin und her wogt, nutzt Block 3 auch heute die Chance, dieses und jenes interessante Thema zu besprechen. „Ey, ich kenne ja den Sohn. Den Vater kenne ich nicht, aber den Sohn. Und der ist auch schon auf dem Sitzplatz.“. Soviel Substanz in 21 Wörtern (ohne „Ey“). Soviel vor allem unausgesprochene Fußballkulturkritik. Oder, um es mit der wörtlichen Replik auf den Punkt zu bringen: „…wat!?“.

Halbchance für den HSV. Eddi Edu wird angeschlagen ausgewechselt. Block 3 kommt wieder in Normalform: „Man, was’ne Scheiß-Auswechslung!“ – „Jetzt beschwer’ Dich doch nicht!“ – „Ich beschwer’ mich nicht, ich stelle fest!“. Ouh Mann, was würde nur aus den schwarzweißblau gefärbten sozialen Netzwerken werden, wenn das alle so sehen würden…?

Nach einer guten Nettospielspielstunde wird es dann kurz hitzig in der Kälte. Der HSV will einen Elfer haben, kriegt ihn nicht, beim Gegenangriff flext Bates den Fabi weg und sieht orange („Dunkelgelb“ gibt’s genausowenig als Farbe wie „hellschwarz“). Es gibt eine Runde Geschimpfe auf dem Platz (Konzertmeister an der Stehgeige: Lewis Holtby), ein „Steh auf, Du Sau!“ seitens des Hamburger Publikums, zur Antwort ein paar Pfiffe des freundschaflich schmollenden Bielefelder Publikums, und dann schneit es weiter.

Das Wetter ist mies, aber die Stimmung wird besser. Block 1 und Block J stimmen an und harmonieren dabei ganz gut. Beim „Aufstehn!“ erhebt sich eine ordentliche Menge und der Wechselgesang „Arminiahaaa…“- „Bielefähaaaald!“ radaut kräftig.

Was Ballbesitz und Tempo angeht, ist der HSV überlegen, kommt aber nicht durch. Warum? Das weiß Block 3. „Eigentlich stehen wir stabil“. Wenn ich jemals eine Liste aufstelle mit Wörtern, die ich auf der Alm nicht hören will, ist „eigentlich“ definitiv dabei. Als Ortega kurt vor Schluss gegen Ito rettet, legt Block 3 noch einen drauf: „Ein 2:2 ist noch drin“. Ist es aber nicht, das schon vor dieser Aktion auf dem schnenassen Hybridgeläuf nichts mehr vorhanden ist, was an ein Fußballspiel erinnert. Die Taube vom Heidenheimspiel hat daraufhin ihre Kumpels angerufen und sich mit ihnen zum Fangenspielen in Pollersbecks Sechzehner verabredet.

Kurz darauf hat sich eigentlich erledigt. Also das Wort „eigentlich“, denn es ist Schluss. Eitel Sonnenschein auf der Süd trotz Schnee. „Oh, wie ist das schön“, wird frohlockt. „Alle auf den Zaun!“ lautet die Aufforderung an die siegreichen Protagonisten, und das machen sie auch. Zwei Spiele, zwei Siege in 2019. Neun von Zwölf Punkten für Uwe Neuhaus. Das darf gerne so weitergehen. Und der HSV? Der steigt auch so auf. Und vielleicht sieht man sich ja tatsächlich mal im Oberhaus wieder, wie der siegestrunkene Sebi Wiese orakelt.

Einen Platz an der Sonne hat das Bielefelder Glückshormon vielleicht noch nicht. Aber schonmal einen an der Schreibtischlampe.

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