Arminia gegen Stuttgart 0:1 – Kampfsäue und Steckenbleiber

Arminia gegen Stuttgart 0:1 – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Freitagsspiele. Zu Freitagsspielen gehört immer ein mentaler Transit aus dem Wochentrott. Das geht in etwa so: Arbeiten => Einkaufen => Kaffee nehmen => Hirn auf Alm umprogrammieren => Spitzenspiel. Und das macht jeder in seinem eigenen Tempo. So stapeln sich rund um die Melanchthonstraße schon die ersten leeren Gerstengemäße, während direkt daneben noch über Winterreifen diskutiert wird. So wird bei Arminia gegen Stuttgart links schon „Scheiß Stuttgart“ geröhrt, während rechts jemand sagt: „Sowas ist schon asi, wäre mir peinlich, so zu reden.“. Und zwischendrin finden Stuttgarter ihren Block nicht und geben dem Organisator die Schuld. Verlassen kann man sich nur auf eins: Mit dem Anstoß sind alle auf Kampfmodus.

Arminia gegen Stuttgart

Die Gästeecke beginnt mit Support im Südamerika-Stil. Gegenüber, im universalen Zentrum der Fußballweisheit (Block 3) bleibt der Rundumbeobachter seit längerem mal wieder im Eingang stecken. Arminia spielt auf das Tor gegenüber, das ist gut zu sehen. Tegos Kiste nicht so, aber das ist nicht von Nachteil. So gerate ich bei den ersten dicken Chancen des Tabellenführers nicht in Rage- was ist nicht sehe, ist auch nicht passiert.

Die Süd ist laut, Anfeuern kann man auch vom Eingang. Natürlich geben sich nicht alle Steckenbleiber mit ihrem Schicksal zufrieden. Blick rauf: „Da oben ist noch was frei!“. Tja Leute…das sagen Tibet-Touristen auch, wenn sie den Mount Everest hoch gucken und gewisse Unwegsamkeiten ignorieren.

Aufregung auf Block 3. Zu sehen ist nur die Gestik des Spielleiters. Elfmeter? Abseits? Erst Abseits, dann Elfmeter? Erst Elfmeter, dann Abseits? Es stellt sich dann als Abseits heraus. Hat sich Block 3 also umsonst aufgeregt? Oder hat der SchiRi geschlafen, als im Lehrgang „unmissverständliche Gestik“ dran kam? Angesichts des weiteren Spielverlaufs und der weiteren Performance des Referees versuche ich gar nicht erst, die Szene abschließend zu beurteilen.

Das Spiel ist intensiv. Der VfB rennt und rochiert, die schwarzweißblaue Defensive lässt sich aber nicht locken. Arminia spielt kontrolliert nach vorne. In den Zweikämpfen schenken sich beide nichts. Ähnlich sieht es im Eingang von Block 3 aus. „Du willst raus? Dat ist man optimistisch.“ – „Rein nich‘ odawatt!?“ – Touché, min Jung, touché! Auch Fabi Klos ist touché, und nicht nur einmal. Die Stuttgarter kriegen Freistöße, er kriegt Stollen in die Haxen, Ellenbogen in die Rippen.

Fabi ist nicht nur wörtlich angefasst. Als das Pfeifenmännchen wieder mal einen klares Foul übersieht, lässt der Captain das Klos-Tier raus und sieht Gelb. Seit mir klar geworden ist, dass das Duo Voglklos das erfolgreichste Sturmtandem Deutschlands ist, habe ich immer ein mieses Gefühl, wenn einer der beiden am Boden liegt oder verwarnt wird. Kennt Ihr das?

Faszinierend ist der Sach- und Finanzmitteltransfer im Eingang von Block 3. Zehn Schoppen Pils über 30 Köpfe hinweg weiterreichen (*schwapp* *tropf*), 20 Euro in Münzen durch das Gitter hindurch reichen (*rassel* *zuBodenklimper*)…mit ein bisschen Egoismus könnte man sich rappelvoll laufen lassen und schweinereich nach Hause gehen.

Irgendwann kommt ein Mädel von hinten an den Menschenpfropf am Eingang von Block 3, hüpft einmal auf der Stelle und sagt: „So.“. „So.“ ist ostwestfälisch für: „Jetzt hat der Spaß ein Ende und wir kommen zur Sache!“. Und genau das machen die Blauen auf dem Platz. Sie machen Druck über die Außen. Vor allem Cebio Soukou rennt auf dem rechten Flügel alles nieder. Hartherz haut einen an die Latte, Torwart Kü…Kobel entschärft einen Fabi-Kopfball. Arminias stärkste Phase endet mit dem Pausenpfiff.

Halbzeit. Riesenmenschenmenge an der Bierbude. Riesenmenschenmenge an der Wurstbude. Riesenmenschenmenge im Eingang zur Süd. Riesenmenschenmenge auf der Süd. Alle gleichzeitig. Wie wir dat schaffen? Wirkönndat.

So, nun sind wir alle auch auf den Stiegen von Block 3 angekommen. Dort herrscht Spitzenspiel-Anspannung. „SchönesSpiel’neSchönesSpiel’neGutesSpiel’neGutesSpiel’ne“ – „JaGeilGeilGeil!“. Die Blauen kämpfen, die Stuggis auch. Die Stimmung in der ausverkauften Hütte ist toll. Zwischenzeitig sogar Kanon auf der Süd: Die rechte Hälfte sind „Deutscher Sportclub Allez“, die linke Hälfte „Immer dabei, ob nah oder weiß [ja, diesmal isses weiß]“. Ist so sicher nicht gewollt, hat aber was.

Wird Zeit, dass was spielentscheidendes passiert. Auftritt Pfeifenmann. An der Mittellinie gehen Klos und Stenzel zum Kopfballduell hoch. Block 3 fordert: „Schubs ihn“. Klos tut das und sieht die Ampel. Es ist zu diesem Zeitpunkt die dritte Gelbe Karte im Spiel, die erste, die nicht wegen Meckern gegeben wird. Natürlich war es – nett gesagt – unüberlegt von Fabi, wieder das Wutmonster von Heidenheim 2013 rauszulassen und zu meckern. Auch in den besagten Luftkampf geht er – nett gesagt – ungeschickt. Und ja, dafür kann man sogar Gelb geben.

Aber fassen wir mal die Spielleitung bis hier hin zusammen: Es gibt gelb für Meckern, für hinterhältige Fouls nur teilweise Freistöße, Abseits wird mit heiligem Ernst gepfiffen. Wie passt da eine Verwarnung für einen Luftzweikampf ins Bild, der in den bisherigen Spielverlauf passt? Heute reden sie alle von Fingerspitzengefühl. Fingerspitzengefühl hat was mit Gestik zu tun. Und da hat der SchiRi, wie wir ja schon festgestellt haben, nicht aufgepasst. Und wenn wir schon beim Fingerspitzengefühl sind, Block 3 hat ein eigenes Fingerspitzengefühl:

Ich bin bei Vogi, der die ganze Angelegenheit als „einen Witz“ bezeichnet und habe das oben beschriebene miese Gefühl. Die Reaktion der Süd ist blanke Wut. Wer hat noch keinen Bierbecher geschmissen? Nachziehen, bitte. Wenn die Ordner im Innenraum clever sind, können sie den Mund aufmachen, sich rappelvoll laufen lassen und nach Abgabe des Becherpfands schweinereich nach Hause gehen.

Der VfB versucht, die Überzahl auszuspielen, aber die Blauen kämpfen. Block 3 weiß es auf spezielle Art anzuerkennen: „Super Baby!“. Da will ich gar nicht wissen, wer gemeint ist. Ebenso wenig will ich wissen, wie folgende Aussage von hinten rechts einzuordnen ist: „Du trinkst das, als wäre es Pipi ohne Zucker“. …brrrr…

Mario Gomez ist auf dem Platz und erzielt ein Tor, dass so dermaßen Abseits ist, dass es von Block 3 sogar objektiv zu sehen ist. Der VAR erklärt das Pfeifi und Winki, die das übersehen haben. Ob die wohl nachher frustriert sind, dass sie ihren Job nicht ganz so toll erledigt haben? Ob die froh sind, dass es vorbei ist und sie jetzt wieder Wallenhorst-Rulle pfeifen dürfen? Oder ob die das geil finden, in einem Zweitligaspitzenspiel Ampeln gezeigt zu haben? Ich frage mich sowas immer bei SchiRis…

Arminia kämpft, schmeißt sich in jeden Ball der Stuttgarter, die mittlerweile den schwarzweißblauen Strafraum belagern. Und leider passiert es dann doch: Al Ghaddioui erzielt in der Nachspielzeit das 0:1. Spitzenspiel verloren, trotz Augenhöhe.

Es ist keine Schande, gegen den VfB Stuttgart zu verlieren. In Unterzahl hätten die tapferen Blauen einen Punkt verdient gehabt. Weiß der Geier, wie es bei elf gegen elf ausgegangen wäre. Ich könnte hier, wie schon so oft, die Phrase von Terry Pratchett bringen: Der Armine jaulte: „Das Leben ist sooo ungereeeeecht…“ Das Universum zuckte die Schultern und sagte: „Na und?“. Nach dieser wirklich guten Leistung der Blauen bietet sich aber die Phrase an, die Fußballer entweder in Poesiealben schreiben oder sich in die Unterarme tackern: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

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