Arminia gegen Union Berlin 2:0 – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent
Beginnen wir die Rundumbeobachtungen eines magischen Pokalabends mit einer grundsätzlichen Feststellung zu Ausscheidungswettbewerben: DFB-Pokal ist nicht Westfalenpokal. Bevor jetzt alle „Ja, ach was“ sagen: Ein wesentlicher Unterschied wird in den großen Sportgazetten und von den großen Stream- Anbietern ebenso wenig beleuchtet wie in den gängigen Rumrüpel- Foren: Im Westfalenpokal kann man sich je nach Laune irgendwo auf die Tribüne hinfläzen. Im DFB-Pokal ist die Hütte brechend voll und wenn man arbeitsbedingt knapp vor Anstoß da ist, bleibt man im Eingang von Block 3 stecken.

So auch heute beim Spiel gegen die Eisernen aus Köpenick. Der Rundumbeobachter hat das nicht nur im DFB-Pokal schon erlebt und hat damit kein Problem- ich bin lang genug, um das mitzukriegen, was ich mitkriegen muss (mehr dazu später). Faszinierend rundumzubeobachten ist aber, wie verwundert das Alm- Publikum jedes Mal ist, wenn es mit dem Phänomen Ausverkauft- könnte voll werden konfrontiert wird. Ein verwundertes „Wo kommen die alle her?“. Ein resigniertes „Ey, mein Stammplatz ist doch da oben.“. Ein Ordner interpretiert die Situation so: „Das Stadion ist zu klein“.

Doch egal, wo genau man sich in der Menschenfülle im Tempel befindet: Es herrscht Pokalatmosphäre, es kribbelt. Das erkennt man in und bei Ostwestfalen daran, dass überreichte Hopfengemäße nicht wie üblich mit einem sachlichen „Grunz“ in Empfang genommen werden, sondern mit einem hibbeligen „GimmaBierrübba, GimmaBierrübba, GimmaBierrübba“.

Es geht also gegen den 1.FC Union Berlin, zum Zeitpunkt des Anstoßes Tabellenvierter der Fußball- Bundesliga. Und zum Zeitpunkt des Anstoßes ein historischer Gegner für Arminia, gelang doch gegen das Team aus Köpenick der (bisher) letzte Bundesliga- Sieg der schwarzweißblauen Vereinsgeschichte. Seitdem ist Union Berlin erstklassig geblieben und hat europäische Luft geschnuppert. Und Arminia? Hat unter anderem ein Zweitliga- Heimspiel gegen Regensburg verloren, Derbys gewonnen, sensationell beim SC Peckeloh gesiegt und ein dämliches Tor des Monats kassiert. Hat Union alles nicht auf die Kette gekriegt. Wer ist hier der Drittligist, häh? HÄH!?

Okay, gut, das ist trotzdem Arminia. Aber auf dem Platz fällt das erstmal nicht auf, denn die Blauen geben in den ersten Minuten richtig Gas. Während die Ränge in voller Kribbelei und Lautstärjke „Allez, Allez, Allez, Alleeeez!“ brüllen, jagt Corboz den ersten Schuss auf Rönnows Kasten. Das sieht, soweit es der Blickausschnitt im Eingang von Block 3 zulässt, alles ganz gut aus. Vor allem Wörli geht ab wie ein brennendes Frettchen. Und dann schnappt er sich einen Fehlpass, schießt, der Ball senkt sich und JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA! Auch im Eingang kann man im Torjubel übereinander herfallen. Wir liegen uns in den Armen, duschen im Gerstensaft.



Ha! Wir können die dämlichen Abwehrfehler- Heber- Tore nicht nur kassieren, sondern auch selber schießen! Allein diese Erkenntnis sollte beflügeln und vielleicht tut sie das auch. Sonst ist es die Führung oder irgendwas anderes, was Arminia beflügelt. Die Blauen kämpfen gegen die individuell natürlich stärkeren Köpenicker um jeden Millimeter Almrasen und spielen selber nach vorne. Oppiiiiieee… NEIN! Scheitert frei an Rönnow!

Trotzdem riecht es gerade nach dem 2:0. Und sieht auch so aus. Zumindest im Bildausschnitt, den der Eingang von Block 3 zulässt. Und das ist im wesentlichen nur die Spielfeldhälfte von der Nordtribüne, auf die Arminia gerade spielt. Kersken und das von ihm zu bewachende Gehäuse ist nur in Teilen erkennbar.

(Es sei denn, man hält die Kamera hoch und knipst auf gut Glück). Natürlich ist eine gewisse selektive Wahrnehmung die Folge und die ist gar nicht so unvorteilhaft. „Haaand, hat der das nicht gesehen?“, beschwert sich Block 3. Der Rundumbeobachter hat es zumindest nicht gesehen. Allerdings hat er es anders nicht gesehen, als der SchiRi es nicht gesehen hat, der heute Abend übrigens einiges zu Köpenicker Gunsten nicht sieht.

Aber zurück zu meiner selektiven Wahrnehmung. Dass Union Berlin zweimal Arminias Gestänge trifft, dass Kersken zweimal rettet, dass Großer, Schneider, Lannert, Oppie und Co. die eine oder andere brenzlige Situation retten… sehe ich alles nicht. „Bei solchen Aktionen krieg’ ich’s Flattern“, japst Block 3 von weiter oben. Ich nicht. Ich sehe nur die Zweikämpfe im Mittelfeld und den einen oder anderen ordentlichen Entlastungsversuch. Und ich brülle mit, ich kribbele mit, ich fühle mit. Und das Gefühl zum Pausenpfiff ist guuuut.

Halbzeit. Da es ja alle überrascht, wenn bei einer ausverkauften Alm viele Menschen kommen, hier Rundumbeobachters Life Hack, wie man die Halbzeitpause dazu nutzt, um trotzdem auf Block 3 zu kommen. Erstens: Den Eingang nach draußen verlassen. Zweitens: Eine gewisse Zeit dort verbringen. Tipps zur konstruktiven Gestaltung: Nahrung zu sich nehmen oder ausscheiden, in Ruhe eine rauchen, in das Notizbüchlein schreiben, dass Du später in den Blog schreibst, wie man in der Halbzeit auf Block 3 kommst. Drittens: Rauf auf Block 3 und bis zum Platz Deiner Wahl, zumindest aber im Rahmen der Möglichkeiten durchwühlen.

Soweit geschehen, den Rahmen der Möglichkeiten genutzt. Um prompt zu sehen, wie Union das Heft in die Hand nimmt. Und wie Arminia den Bundesligisten tapfer weg verteidigt. Und die Alm geht es mit. Jeder Zweikampf, jeder Befreiungsdresch wird bejubelt. Wechselgesang donnert und die Spieler unten leben es: „ARMINIJAHAAA!“ – „BIE- LE FEHEEELD!“.

Und richtig laut wird es bei den Gegenstößen der Blauen. Wörli ey… der rennt wie eine Bande Supermarktklauer vor dem Kaufhausdetektiv. Auch der eingewechselte Mizuta gibt ordentlich Gas. „Das ist Mizu… Mizunami… Mizumo“, stammelt Block 3, ein weiterer Beleg für die Kribbelstimmung. „Mizumo“ heißt im Japanischen übrigens „auch Wasser“. Jetzt heißt Kaito mit Nachnamen „Mizuta“ (heißt im Japanischen „Mizuta“), aber „Mizumo“ hätte ebenfalls gepasst. Mizuta fließt auch wie Wasser, wie alle anderen. Und das Fließgefälle stimmt.

„Wer ist die 39?“, fragt jemand auf Block 3. Und ein weiterer Beleg dafür, wie sehr die Alm im Geschehen ist, ist die Tatsache, dass nur knapp mit „André Becker“ geantwortet und auf die gängigen Erläuterungen zu dessen Person und seiner bisherigen Arminia- Karriere verzichtet wird.

Jedenfalls macht Becks vorne ein paar Bälle fest. Als Wörli, der heute brennt wie Papier unter der Lupe, ihn anspielt kommt er aus dem Tritt und verzieht. Erstmal. Als Wörli, der heute abgeht wie Schmidts Tierheim, wenn ein Stück Fleich ins Gehege geschmissen wird, ihn nochmal freispielt, hält Becks drauf und… JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA! Genießt Eure biernassen Klamotten, genießt die blauen Flecken vom Jubel, genießt die Quetschungen vom Um- Den- Hals- Fallen! Gebt Euch die Endorphine! Oder, wie Block 3 überraschend sachlich feststellt: „Lacht doch mal, wir führen 2:0!“.

Die Schlussphase wird eingeläutet mit den Gänsehautentzündungs- Klassikern „No Limit“ und „Immer dabei“. Kleiner Spaßfakt am Rand: Aus der mittlerweile zehn Jahre alten grandiosen Gänsehautentzündungssaison ist mit Schwolow! Schwolow! Schwolow! Ein damals aktiver Zeitzeuge auf der Bank von Union Berlin.

Union Berlin gehören die letzten Minuten. Aber Kersken rettet, Arminia fighted, schießt alles raus, grätscht alles weg, hobelt die überstehenden Dübel ab, schleift die Pappe… wendet alle noch so merkwürdigen bildhaften Vergleich an, sie passen. Und feiert sie, wie wir jede gelungene Defensivaktion der Blauen feiern. „Forza DSC! Forza DSC! Forza Forza Forza DSC!“. An anderer Stelle haben wir schonmal über den Begriff „Forza“ gesprochen. Stärke, Wucht. Und dieses Spiel kann gar nicht passender zu Ende gehen als mit „Forza Forza Forza DSC!“.



Lasst uns das nicht in Saison- Zusammenhänge pressen. Lachen wir mal, wir haben 2:0 gegen den Bundesligavierten gewonnen.
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