Jahresrückblick 2021 Teil 1 – Geisterpaddeln

Jahresrückblick 2021-Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Arminia 2021 – das waren wieder viele Herzpillen, viel Auf und Nieder, viel „Raus!“, viel Leiden, viel Leidenschaft, viel blaues Herzblut, viel Block 3, kurz: Arminia. Obwohl- mit Block 3 war in der ersten Jahreshälfte ja nichts. Teil 1 des Jahresrückblicks ist ziemlich geisterhaft.

Geister, Rührei und Schnee

Hat jemals ein Fußballjahr so früh begonnen? Kaum haben wir Silvester nicht gefeiert und Neujahr nicht ausgekatert (war ja Lockdown), kehren wir schon wieder an den Fernseher, den PC, das Tablet zurück, um Arminia zu gucken. So, wie wir es seit Mai 2020 tun, als der Profifußballzirkus beschloss, sich selber ohne Stadionpublikum fortzusetzen.

Jahresrückblick 2021

Wir treffen uns mit dem Fanclub auch am 2. Januar 2021 zum Heimspiel gegen Gladbach nicht auf dem Siggi, sondern auf Zoom, sehen eine nach vorne harmlose Arminia und ein 0:1. In den nächsten drei Spielen sehen wir sieben Punkte mit 4:0 Toren. Je nach Übertragungsgeschwindigkeit, Fernsehkabel und Internetleitung jubelt immer jemand im Fanclub als erster, innerhalb von etwa 90 Sekunden zieht der Rest nach.

In der Halbzeit versucht der Rundumbeobachter in schöner Regelmäßigkeit, Rekordzeiten fürs Rührei-Braten aufzustellen – würde ich auf der Alm nicht einen Happen von runter kriegen (und ich mache gutes Rührei!). Aber so ist das eben mit der HomeAlm im HomeOffice. Fällt schwer, die gleiche Spannung aufzubauen wie im Stadion. Jetzt hätte ich zum Beispiel vor lauter Rührei fast vergessen zu erwähnen, dass Arminia die erste Bundesliga-Hinrunde nach elf Jahren Untergrundforschung mit 17 Punkten auf Platz 15 abschließt. Besser als von den Schlauchboot-Apologeten befürchtet, mit steigender Tendenz. Ich habe es übrigens nie geschafft, das Rührei rechtzeitig zum Wiederanstoß fertig zu kriegen.

Die steigende Tendenz können die Blauen zum Rückrundenauftakt nicht bestätigen. Die Spiele gegen Frankfurt und bei Abstiegskampfkonkurrent Köln gehen krachend verloren. Indikator für die Leistung des DSC: Die jeweiligen Ehrentreffer erzielt der bei uns außerordentlich beliebte Sergio Cordova. Seine einzigen Tore im Arminia-Dress. Die Chance, das nächste Schlüsselspiel im Abstiegskampf zu vergeigen, steht gegen Werder an. Allerdings geht Ostwestfalen rechtzeitig zum Anstoß im Schnee unter. Das Geisterspiel gegen die Hanseaten wird verschoben. Jui, wenn das ein richtiges Spiel mit Zuschauern gewesen wäre…was hätten wir auf Arabi eingedroschen wegen der weißen Pracht…klar wäre der auch daran schuld gewesen!

Aber wie die Eskimos kennen auch Arminen mehrere Bedeutungen für „Schnee“. Zum Beispiel „Zwölfter Mann in München“. Der Dauermeister kommt mit dem Winterweiß kaum zurecht. Michel Vlap, geliehener Neuzugang aus Anderlecht, Amos Pieper und Christian Gebauer schießen erst ein 2:0, dann ein 3:1 heraus. Am Ende hat das ostwestfälische Schlauchboot in der bajuwarischen Schlauchboot-Arena ein 3:3 erkämpft. Neben Vlap hat Arminia übrigens auch noch einen Spieler aus Salzburg ausgeliehen. Masaya Okugawa, ein Japaner in etwa so groß und so massig wie Frau Schneider von den Blauinnen. Zu dem kommen wir aber noch.

Raus, nochmal raus und immer noch drin

Apropos Blauinnen – gibt es die eigentlich noch? Auf dem Papier ja. Auf dem Kalenderpapier. Die Zweitligasaison der Mädels wird fortgesetzt, als Schnee nun gar kein Thema mehr ist und wir uns allmählich auf Ostern vorbereiten. Nach fünfeinhalb Monaten Corona-Zwangspause holen die Blauinnen am vierten Spieltag ihre ersten Saisonpunkte mit einem spektakulären 5:3 bei den Roten Kühen. Dann allerdings hapert es im Abstiegskampf. Bei der direkten Konkurrenz in Berghofen und Wolfsburg II gibt es jeweils nur einen Punkt, das Heimspiel – Postheide-Fluch, Postheide-Fluch! – gegen Bocholt geht verloren.

Eigentlich ist die Qualität doch da im Kader? Jedenfalls passt die Leistung nicht dazu. Es braucht einen neuen Impuls. So jedenfalls argumentiert Arminias Abteilung Frauen- und Mädchenfußball, als sie den gemeinsamen Weg der Blauinnen mit Markus Wuckel nach 17 Jahren beendet. Da „17 Jahre Trainer“ für uns Profifußball-Gewöhnte schwer nachzuvollziehen sind: Als Wuckel die Blauinnen übernommen hat, haben noch Ansgar Brinkmann und Momo Diabang für die Profis gebolzt.

Oder stellt Euch vor, Bennö Möhlmann wäre immer noch Train…neee, lieber nicht. Jedenfalls auch hier nochmal: Danke, Markus Wuckel. Für viele lustige Brüllereien, gemeinsames Pommes-Philosophieren und Mich-jubelnd-durchs-Vereinsheim-Schleudern. Der geforderte Impuls hat übrigens gegriffen und die Leistungen haben dann auch gepasst. Später. Dazu kommen wir aber noch.

Impuls setzen, solange es noch geht…so ähnlich haben die Männer der schwarzweißblauen Schöpfung drei Wochen vor Wuckel auch argumentiert und Uwe Neuhaus vor die Tür gesetzt. Nachfolger ist Frank Kramer. Äh…wer??!

„Nicht zuletzt auf Grund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Profifußball und speziell auf Arminia Bielefeld soll der Charakter eines Ausbildungsclubs weiter geschärft und talentierte Jungprofis und Nachwuchskräfte intensiver gefördert werden.“, sagt Samir Arabi zur Sportschau. Die Maßnahme stößt – gelinde gesagt – auf Unverständnis. Neuhaus, unser Aufstiegsheld. Neuhaus, der so gut zu uns passte. Arabi wird mal wieder durch’s Leineweberdorf getrieben – wenn auch etwas kontroverser als bei vergleichbaren Anlässen.

Arminia spielt Bundesliga, was nicht zuletzt der Einkaufspolitik von Samir Arabi zu verdanken ist. Das müssen wir auch in unseren Debatten anerkennen, ob wir wollen oder nicht. Aber was wollen wir eigentlich in den Debatten? Arabi auf Arminia verallgemeinern? Arminia ist für alles verantwortlich, für Entlassungen, Gegentore, Siege der Konkurrenz, guten Schnee, schlechten Schnee und das Fach für meine Lieblingszigaretten im Marktkauf ist auch wieder leer? Oder wollen wir einfach nur recht haben?

Arminia hat verloren – Arabi raus, Kramer raus, Arminia raus, Schnee raus, wir haben es Euch gesagt! Arminia hat gewonnen – Arabi rein, Kramer rein, Arminia rein, Marktkauf rein, wir haben es Euch gesagt! Im Frühling 2021 wird es dringend Zeit, dass die Geisterspiele enden und wir Wut, Frust und Euphorie wieder auf Block 3 und Umgebung lassen können. Ohne uns is Scheiße.

Frank Kramers Arminia punktet jedenfalls gegen Union Berlin, verliert das Nachholspiel gegen Werder unglücklich (der bislang letzte Bremer Bundesligasieg) und gewinnt mit einer soliden Leistung in Leverkusen. Der Neue scheint eine Spielidee zu haben und sucht noch die passende Startelf. Nicht zum letzten Mal. Dazu kommen wir aber noch.

Warten

Warten auf Karten. Arminia will die Dauerkarten zurückerstatten, die vor der Saison in zwei Kategorien verkauft wurden. Dazu gibt es Gimmicks mit teilweiser Erstattung, teilweise Erstattung mit Gimmicks, teilweise Erstattung mit teilweiser Erstattung, Erstattungen, die den SturHartnäckigKämpferischen zu lange dauern…ach, Schnee raus, Marktkauf raus.

Ende April sitzen wir vor Fernseher, PC, Tablet und warten darauf, dass tolle Dinge passieren. Der Rundumbeobachter darf außerdem auf die geisternde Postheide zum Tickern (Nochmal: DANKE dafür!). Die Blauen haben ins Mainz und Augsburg einfach gepunktet (öööööde Spiele) und Freiburg besiegt. Dann entsorgt ein Klos-Hammer den FC Schalke 04 in die Zweite Liga. Das 0:5 in Gladbach kommt untern Tisch, das hat ja nicht mal die Mannschaft auf dem Platz wahrgenommen.

31 Spiele sind absolviert, Arminia ist auf Platz 15 mit einem Punkt Vorsprung auf Köln. Neben dem DSC drücken wir Augsburg und Hertha die Daumen, weeeeil: Wenn Fugger- und Hauptstädter gegen Hanse- und Domstädter gewinnen, reicht Arminia ein Punktgewinn gegen Hoppenheim, um auf Platz 15 zu bleiben. Ein Dreier würde den Relegationsplatz sichern. Zahlenspiele hin und her, der Klassenerhalt ist greifbar. BitteBitteBitte….

Postheide-Fluch, Postheide-Fluch! Spiel Eins nach Wuckel gegen die Zwote von Turbine Potsdam geht verloren. Ebenso das Derby gegen Gütersloh. Es sind mindestens drei, im schlimmsten Fall sechs Punkte bis zum Relegationsplatz, in jedem Fall sechs bis zum rettenden Ufer – Platz sechs der Tabelle, da der DFB die Zweiten Frauenbundesligen mal wieder zusammenlegt.

Vor dem 0:5 der Kerls in Gladbach sind die Blauinnen ebenfalls bei den Fohlen zu Gast, retten aber die Tordifferenz nicht (4:0 ist trotzdem cool). In Jena gibt es ein 1:2. Abstiegsplatz sieben, die tabellarische Nachbarschaft hat Nachholspiele, im schlimmsten Fall sind es sechs Punkte, die unsere wackeren Mädels allein zum Relegationsplatz aufholen müssen, neun bis zum rettenden Ufer. Alles gewinnen und das beste hoffen. Der Klassenerhalt ist/wäre ein ziemlicher Husarenritt. BitteBitteBitte….

Geisterparty, Nicht-Geisterparty

Jaja, die guten, alten Zahlenspiele. Wenn wir die nicht hätten, müssten wir doch glatt zugeben, dass aufm Platz entscheidend ist. Hertha ist mit zwei gewonnenen Nachholspielen an Arminia vorbeigezogen, wir holen dort ein 0:0. Beim 1:1 gegen Hoppenheim hauen die Blauen alles rein. Voglsammer vergeigt eine Torchance, dass drei Cordovas die Hände vors Gesicht geschlagen hätten. Und die ist nur die Spitze des Eisbergs, war verpasste Netze betrifft. Boah, wäre das kein Geisterspiel…die Alm hätte sowas von gebrodelt…

Trotz Rührei, trotz HomeAlm- beim letzten Saisonspiel in Stuttgart ist das Kribbeln da. Ein Sieg, und Arminia bleibt drin. Schock, als die Stuggis ein Abseitstor erzielen. Dann holt Okugawa einen Elfer raus, und es bleibt der Sturmtanne, dem Sturmpanzer, der Dampframme, der Charline Hartmann der Dritten Liga vorbehalten, die Weichen auf Klassenerhalt zu stellen. Fabi versenkt.

Hochgeschwindigkeitsballstreichler Doan macht dann alles klar. Wir jubeln geisterhaft, vor Fernseher, PC, Tablet. Sinnbildlich für unsere Freude ist die Sturmtanne, der Sturmpanzer, die Dampframme, die Charline Hartmann der Dritten Liga. Fabi sitzt auf der Auswechselbank und weint. Nicht nur ein paar Glückstränen. So richtig. Rotz und Wasser. Fühlen wir! …und die Blauinnen?

Die sind zum Saisonfinale in Quarantäne, währenddessen spielt die Zweite Liga Nord weiter. Gladbach ist weg. Im Kampf um den Reli-Platz bleiben noch Potsdam II, Wolfsburg II und unsere Mädels. Und die tragen das Saisonfinale untereinander aus, die zwei noch fehlenden Spiele gehen also jeweils gegen die beiden anderen. Ausgegangen davon, dass Arminia beide Spiele gewinnt, sind es 17 Punkte. Aber: Gewinnt Potsdam gegen Wolfsburg, haben die 20 Punkte und sind weg. Bei einem Unentschieden sind es 18 Punkte-auch weg. Gewinnt Wolfsburg, sind es 19 Punkte für die. Weg.

Tja…das heißt…die Blauinnen steigen auf dem Sofa in die Drittklassigkeit ab. Dass sie vor der Zwangspause den zweiten Sieg auf der Postheide überhaupt einfahren, spielt keine Rolle mehr. Aaaaaber: Zum letzten Saisonspiel im Juni gegen Wolfsburg II dürfen wieder Zuschauer auf die Postheide. Und es ist herrlich! Endlich wieder live mit Leuten quatschen und herumscherzen, die man vorher bestenfalls auf Zoom gesehen hat, endlich wieder Wertmarkenwitze machen, endlich wieder „Bie-le-feld!“ brüllen. Endlich! Wieder! Richtiger! Fußball!

Vom Paddelboot zum Schulschiff?

Gut gepaddelt ist das Schlauchboot! So sagen es selbst unsägliche Dinge wie das Sondershirt zum Klassenerhalt. Ein Schlauchboot ist ein Boot, das mit Paddeln schneller ist als ein Kohlenfrachter, eine Weserfähre und ein Rheindampfer. Der Geschwindigkeitsvorteil des Schlauchbootes gegenüber diesen Fahrzeugen ergibt sich aus einer sicheren Navigation, einer gewaltigen Paddelleistung und der Tatsache, das es keinen Ballast aus Schulden und überrissenen Ambitionen hinter sich herschleppt.

Jetzt soll aus dem Paddelboot ein Schulschiff werden- das gilt für den selbsternannten Männer-Ausbildungsverein genauso wie für den neuen Regionalliga-Kader der Frauen. Wie das ist, wenn man sturhartnäckigkämpferisch am Schulschiff festhält, wenn man sturhartnäckigkämpferisch an SturHartnäckigKämpferisch festhält und wie man richtig ruckelt, lest Ihr im zweiten Teil.

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