RWO gegen RWE 2:0 – In die Emscherkurve im Sturmesbrausen

RWO gegen RWE – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Viele loben die Fußballkultur des Ruhrgebiets. Selbst ausgewiesene Fußballhasser können auf dem Stand fünf Ruhrpottclubs aufzählen. Die Krone der Ruhrpottfußballs ist natürlich das Ruhrpottderby. Nein, ich rede nicht von Schalke gegen Dortmund, wo mittlerweile sogar die Ausschreitungen zum Hype gehören. Ich rede von einem Spiel völlig ohne Hype. Von einer Begegnung, die den rauhen Charme des klassischen Ruhrgebietsfußballs mit einer relativ hohen Spielklasse verbindet, einer Begegnung zweier Rivalen, deren Stadien ganze zehn Kilometer auseinanderliegen: Rot-Weiß Oberhausen gegen Rot-Weiß Essen.

RWO gegen RWE

Die Stadt Oberhausen ist von zweien ihrer Töchter ganz wunderbar besungen worden. Die Winde über der Emscher lassen sich für Ortsfremde nur mit stählernen Verdauungsorganen ertragen. Auf dem Rhein-Herne-Kanal fahren Schiffchen. Okay, riesige Lastkähne, aber man kann ihnen winken. Krude Romantik des Ruhrgebiets, und sie manifestiert sich im Niederrheinstadion.

Gut, der Urbau aus den 1920er Jahren, der immerhin mit einem Gastauftritt von Arminia Bielefeld eröffnet wurde, ist das auch nicht mehr. Die letzte Renovierung der Tribünen fand 1998 statt. Aus der „alten Zeit“ ist nur noch der Uhrenturm auf der Gegengeraden geblieben. Aber die Kombination aus Beton, Stahl, den vier kultigen Flutlichtmasten und den Winden von der Emscher lassen das Herz des Fußballromantikers höher schlagen. Die Kurven sind nach den Wasserläufen benannt, zwischen denen das Stadion liegt- Emscherkurve (Heim) und Kanalkurve (Gäste).

Neben Transparenten im Ultra-Stil hängen auch klassische Fanclub-Transparente am Zaun, wie sie da schon seit Jahrzehnten hängen. Neben den aktiven Fans findet sich die gesamte Soziologie des Phänomens „Fußballfan“ in der Emscherkurve. Da sind Normalos mit Schal und Trikot, die „Otto“ oder „Klausi“ heißen. Drei, vier Kutten laufen einem über den Weg. Die Jugendmannschaften von Rot-Weiß Oberhausen stehen auch auf den Rängen.

Dann sind da noch zwei, drei Basecaps mit Augenringen, von denen Du kein Handy kaufen willst und ein paar vierschrötige Kurzhaarfrisuren mit martialischen Tätowierungen. Auch der eine oder andere Kalle Laberfürst kommt einem entgegen. Unten am Zaun stehen die Familienväter, deren Nachwuchs während des Spiels das Unkraut aus den Betonstufen reißt und Papa als Blumenstrauß überreicht. Und dann ist da noch das dicke Kind, männlich, Teenage-Endphase, das vor dem Stadion herumwankt und laut verkündet „Wenn die heute gewinnen, saufe ich mich tot“. Ohne irgendeinen Adressaten anzusprechen. Außer vielleicht die Emscherwinde.

Wenn man auf der Suche nach Indikatoren für eine zeitlose Fankultur des Ruhrgebiets ist- in der Emscherkurve hat man ihn gefunden. Man trifft Freunde, man pflegt das Spiel und RWO als Wochenendritual, man feuert an, fiebert mit, diskutiert das Spiel, quatscht über Gott und die Welt und säuft sich bei Bedarf tot. Herrlich!

Das gilt übrigens auch für den Gast von heute, doch dazu später. Habe ich schon die Fressmeile gelobt? Den „Malocher-Griller“, ein Prachtstück von Bratwurst?. Sowieso – „Malocher“. Der Verein, chronisch klamm, führt seit Jahren eine Imagekampagne mit dem im Pott populären Bild des Bergarbeiters. Saisons wurden zu „Schichten“, die Spieler zu „Malochern“. Es gab vor ein paar Jahren einen Adventskalender, auf dessen Türchen der 24köpfige Kader von Rot-Weiß Oberhausen: Gesichter und Trikots so dreckig, als kämen sie gerade aus der Zeche.

Die „Malocher“ schafften es mit einer nahezu identischen Mannschaft, innerhalb von zwei Jahren von der vierten in die zweite Liga durchzumarschieren – und dann ebenso schnell wieder in die vierte Liga zurückzukehren. Dabei wurde konsequenter Malocherfußball angeboten: Lange Bälle von hinten auf die Flügel, die fast immer im Seitenaus landeten. Irgendwann während des schnellen Aufstiegs verkündete der damalige Trainer Hans-Günter Bruns: „Wir haben das Spiel jetzt 20 Meter nach vorne verlagert“ – ab da landeten die langen Bälle im Toraus.

Der Gast aus der Nachbarstadt will heute ein System mit schnellen, kurzen Pässen durchs Mittelfeld spielen. Leider übersteigt das die Fähigkeiten der Essener Spieler. Und die trafen nun auf das eben erwähnte Malocherspiel. Ja, lieber Leser, das Match war so, wie Sie es sich jetzt vorstellen. In der zehnten Minute dreschen die Oberhausener das Spielgerät mehrfach auf den Essener Kasten, bis irgendwann eine Essener Hand die Situation klärt. Platzverweis – Elfmeter und 1:0 für RWO.

Obwohl das Match alles andere als eine Werbung für die Ästhetik des Sports ist – es ist hat die Intensität eines Derbys. Einst geriet Lothar Kobluhn (RWO-Legende) mit Helmut Rahn (RWE-Legende) auf dem Platz aneinander: „Du kannst nur saufen und nicht Fußball spielen!“. Worauf hin der „Boss“ zurückschnauzte: „Und Du kannst noch nicht mal saufen“. Und genau dieser „Spirit“ herrscht heute auf dem Platz. Beide Seiten spielen nickelig, der unsichere Schiedsrichter unterbricht oft. Die Rivalität beider Clubs, die sich in den letzten hundert Jahren oft begegneten und sich nichts schenkten, ist auf dem Platz spürbar.

10.500 Zuschauer sind ins Niederrheinstadion gekommen, darunter etwa 4.000 Essener. Wie schon erwähnt, gilt für Rot-Weiß Essen etwa dasselbe wie für Rot-Weiß Oberhausen: Ebbe in der Kasse, etwa dieselbe Fansoziologie. Die aktive Fanbase ist aber deutlich größer. Bei RWE kommt der Abglanz vergangener Zeiten hinzu: Die deutsche Meisterschaft 1955, Spielerlegenden wie „Ente“ Lippens, „Penny“ Islacker und natürlich eben erwähnter „Boss“ Rahn. Zum Abglanz gehört das permanente Daran-Anknüpfen-Wollen. Das wiederum hatte viele dubiose Deals, gewaltig gescheiterte Finanzkonzepte und das sportliche Steckenbleiben in der Dritt- bis Fünftklassigkeit zur Folge.

Die RWE-Fanszene tritt sehr offensiv auf. Mit den königsblauen Nachbarn sind sie spinnefeind, auch Aachener und Münsteraner sind nicht gut auf sie zu sprechen. Die Oberhausener auch nicht. Die Mobs überbieten sich in gegenseitiger Schmähung. Dreimal gibt es Pyro aus dem Essener Block – zum Anstoß, zur Halbzeit und als RWO das 2:0 erzielt und den damit den Dreier nach Hause bringt.

Ob das dicke Kind noch lebt? Oder hat man ihm, wie immer, nur’ne Cola hingestellt?

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