Westfalia 04 Herne, Herne, Sonne Mond und Sterne

Ein Blick auf Westfalia Herne – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent


Wann immer jemand vom „Erlebnis VIP-Loge“ erzählt… Wann immer jemand stolz seinen „Fanclub Nationalmannschaft“-Ausweis präsentiert…Wann immer jemand damit prahlt, Karten für ein stark nachgefragtes FußballEVENT ergattert zu haben…Wann immer jemand die aktuellen Sportblöd-Gerüchte zur Champions League in Endlosschleife referiert oder sonstwie in der Raucherpause fußballbezogen klugscheißt… … Dann gibt es ein perfektes Gegengift: Westfalia Herne. Den Kehlkopf auf Grölstimme umprogrammieren und „Häääanöö! Häääanöö!“ (transl. „Herne! Herne!“) röhren und man hat gleichermaßen seinen erzieherischen und kulturbotschaftenden Auftrag erfüllt. Falls dann wer fragt, nehme man ihn mit dorthin, wo das kehlige „Häääanöö! Häääanöö!“ zu Hause ist.

Westfalia Herne

Der SC Westfalia Herne wurde 1904 gegründet. Der Club spielte bis zur Einführung der Bundesliga nahezu kontinuierlich in der jeweils höchsten Spielklasse und wurde 1959 Westdeutscher Meister. Nachdem der Profifußball eingeführt wurde, spielte Westfalia zweitklassig. In den siebziger Jahren machte man sich von einem Investor abhängig und benannte sich kurzzeitig in SC Westfalia Goldin 04 Herne um. Mit der Tankstellenfirma ging auch der Club in den bankrott, 1979 entzog der DFB die Zweitliga-Lizenz.

Seitdem spielt Westfalia – von einigen Besuchen in der Verbandsliga abgesehen – in der Spielklasse, die „Oberliga“ heißt, je nach gültiger DFB-Strukturreform dritt- bis fünfthöchste Liga, aktuell fünfte. Oberliga Westfalen. Auf lokaler Ebene legendär sind die Derbys gegen den SV Sodingen und den DSC Wanne-Eickel. Bundesweit ist Westfalia bekannt als Lieblingsclub von „Zocker-Theo“. Gespielt von Marius Müller-Westernhagen (Das ist der, der unbedingt zurück auf die Straße will. Häääanöö! Häääanöö!). Doch hat Westfalia Herne weitaus mehr Legendenpotential. Das geht schon beim Stadion los.

Braucht man eigentlich nicht zu erwähnen, denn das „Stadion am Schloß Strünkede“ ist wohl jedem Fußballnostalgiker ein Begriff. Das kombinierte Fußball-Leichtathletik-Stadion hat Platz für 32.000 Zuschauer. In den Siebzigern diente es dem VfL Bochum als Ausweichquartier, als das Ruhrstadion umgebaut wurde. Dem Gastspiel der Bochumer verdankt das Stadion seinerseits eine umfassende Sanierung, der heutige Bau ist „Stand 1976“. Und genau das Ambiente strahlt die Sportstätte auch aus.

Es beginnt bei den Kassenhäuschen und setzt sich fort beim Aufweg zu den Tribünen. Auf der überdachten Haupttribüne sind alte Sitzschalen auf vor sich hin verrottendes Holz montiert. Man betritt die Tribüne durch blau gestrichene, angerostete Eisentüren. Die Mauern sind mit Flechten überzogen, der Putz bröckelt. Qualm und Bierdunst hängen unter dem Dach, zusammen mit Schwadronen verdauungsfreudiger Tauben.

Wenn man die Haupttribüne verlassen hat, führt kein weg an der Wurstbude auf dem Wall vorbei. Dort serviert ein älteres Ehepaar eine wunderbare Bratwurst und ist eigentlich nie um einen Schwatz verlegen. „Wat? Du bis‘ fünf Minuten am waatn? Dann kannste noch eine Minute drauftun, is dann ja wohl nich dat Dingen.“. Ruhrpott live. Unterhalb der Wurstbude ein paar Parkbänke. Wettersensible VIP-Loge. Oder so. Man beachte auch die Anzeigetafel!

Zur Gegengerade gelangt man durch das Marathontor, vorbei an den Spielerkabinen. Gegengerade und Kurven – die Kurve links der Haupttribüne ist für Gäste reserviert – mit abgetretenen Betonstufen, schwarzem Kies und leicht rostigen Wellenbrechern. Auch hier Parkbänke auf dem Wall. Die Versorgung läßt auch hier nichts zu wünschen übrig. Ein Kiosk-Häuschen, in dem es allerhand Schlickerkrams zu kaufen gibt. Eine Wurstbude, die sich hinter der eben beschriebenen nicht zu verstecken braucht. Ein Fanshop. Und ein mobiler Eisverkäufer, der seinen Van reingefahren hat, die Seitenklappe aufmacht, ein Schild mit dem Grundangebot an Eis raushängt und wahrscheinlich jeden, der „eine Kugel Joghurt-Maracuja“ bestellt, zumindest dumm anguckt.

Das Stadionpublikum ist bunt gemischt und mehr als die typische Amateurfußball-Klientel. Viele Schals, viele Bekenntnisse und klassische Fans. Das Publikum geht die Spiele intensiv mit, ist kritisch und enthusiastisch. Man merkt, daß Westfalia ein Standing bei der Bevölkerung hat. Hinten rechts auf der Haupttribüne werden Chants angestimmt. „West-! West-! West-falia!“, „Herne, Herne, Sonne Mond und Sterne“, „Shalala, Herneeee 04“. Und natürlich, grölend-röhrend-kehlig: „Häääanöö! Häääanöö!“. Von Leuten aus der alten Kuttenträgergeneration. Ultraorientierten Support gab es durch die „Chaosbrigade Herne 2006“, bis diese sich auflöste.

Die dauerhafte klamme Westfalia verloste einst den Stadionnamen im Rahmen einer Tombola. Mit 20 € war man dabei und der Verein hat wohl auch einiges zusammengekriegt. Unvergessen bleibt auch eine Halbzeitpausentombola, bei deren Moderation selbst die Gestalten von QVC Zahnschmerzen gekriegt hätten. „Sieht aus wie vom Mars! Ist aber von der Bahnhofstraße!“. Ging um ein Bügeleisen.

Auch wurde ich beim Gastauftritt von Rot-Weiß Essen Zeuge eines Stellvertretergefechts zwischen Essenern und zu Besuch gekommenen Schalkern. Und auf der Gegengerade hockte mal die Reporterin eines Siegener Lokalsenders, die Live-Schaltungen vom Gastspiel der SF Siegen routiniert in ihr Handy sabbelte und – Blicke sprechen Bände! – eigentlich sehr viel lieber woanders gewesen wäre.

Jedem sei ein Besuch im Schloß Strünkede empfohlen. Was sportlich und finanziell nicht mehr lebendig erscheint, muß noch lange nicht tot sein. Beweise dafür gibt es viele, Westfalia Herne ist ein besonders eindrucksvoller. Hin da!

Häääanöö! Dat nimmste mit! Häääanöö! Häääanöö!

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