FC Kray gegen RW Essen – Abstiegskampf im Stadtderby 2016

FC Kray gegen RW Essen – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Nach dem Bratwurstverzehr am kultigen Stand vor dem noch kultigeren „Hafenstübchen“ geht es ins neue „Stadion Essen“. FC Kray gegen RW Essen. An das alte Georg-Melches-Stadion erinnert ein Lichtmast und ein wehmütiges Transparent an einer Eisenbahnbrücke. Eine lebensgroße Bronzestatue von Boss Rahn erinnert an die glorreichen Fünfziger Jahre Rot-Weiß Essens. Natürlich hat das Stadion (noch) nicht den Stallgeruch des alten Georg Melches. Aber im Vergleich mit anderen, oft etwas unpersönlich wirkenden Fußballarenen, die in den letzten Jahren bundesweit gebaut wurden, hat der Neubau in Essen Individualität.

Die vier Einzeltribünen erinnern ein bisschen an das neue Millerntor. Eine volle Hütte dürfte ziemlich Krach erzeugen. Heute wollen 4.250 Zuschauer das Essener Stadtderby sehen. Irritation beim Kartenkauf. Der anvisierte Block R1 (18,00 Euro) auf der Gegengeraden ist ausverkauft, so die Kassendame. Es gebe noch Karten für die Blöcke in der Preiskategorie 23,00 Euro. Ein Blick in die Fotostrecke zeigt, wie „ausverkauft“ Block R1 tatsächlich war- Das Bild mit den leeren weißen Sitzen. Immerhin war die ganze Gegengerade mit der 23,00-Euro-Karte zugänglich. Vielleicht war das der Grund für den Aufpreis.

FC Kray gegen RW Essen

Vorwitzige Stimmen aus dem Fanblock von Rot-Weiß rufen: „Auswärtssieg!“. Laut Ansetzung hat der FC Kray ein Heimspiel. Die etwa 40 Krayer Fans sind auf der Haupttribüne untergebracht. Sie zahlen Stehplatzpreise, die Differenz übernimmt der Verein. Vor der Partie verabschiedet der FCK die zum Saisonende scheidenden Spieler. Deren Namen liegen dem Stadionsprecher „nicht vor“. Dass Kray angesichts der Geltung beider Clubs atmosphärisch kein Heimspiel hat, ist sowieso klar.

Ob der „Gastverein“ die Geltungsunterschiede in solcherlei Weise deutlich machen muss, sei dahingestellt. Vieles hängt sicher auch mit der Organisation zusammen. Die rot-weiße Fanszene schweigt die ersten 13 Minuten der Partie. Grund für den Stimmungsboykott sind 13 Stadionverbote, die nach einer Pyroaktion in Ahlen ausgesprochen wurden. So sind zu Beginn des Spiels vor allem Krayer Anfeuerungsrufe zu hören.

Der FC Kray steht seit Wochen als Absteiger fest. Der Druck liegt bei Rot-Weiß Essen. Nachdem die Mannschaft von Sven Demandt in der Vorwoche gegen Oberhausen mit 0:2 verloren hatte, beträgt der Abstand auf die Abstiegsränge zwei Spieltage vor Saisonende vier Punkte. Ein Sieg im Stadtderby sein, so Demandt, „brutal wichtig“. RWE spielt in den ersten Minuten munter nach vorne. Kray hält mit viel Körpereinsatz dagegen. Nach zehn Minuten ist der Ball platt. Zur 13. Spielminute beginnt die Fanszene des RWE ihren Support mit einem Song für die Stadionverbotler. Auch danach macht die „Alte Westtribüne“ ordentlich Alarm.

Auf der Gegengerade ist die Anspannung zu spüren- Für RWE geht es um was. Sämtliche Aktionen des ganz in Rot spielenden „Gastes“ werden kritisch begutachtet. In der 19.Minute gibt Kevin Grund einen scharfen Flachpass von links in den Fünfmeterraum. Am lange Pfosten schiebt Frank Löning zum 1:0 für RWE ein. Zunächst herrscht Erleichterung auf den Rängen, aber Kray hält dagegen. In der 33. Minute kann die Hintermannschaft des RWE eine lange Hereingabe nicht klären- Marius Müller profitiert und erzielt den Ausgleich. Auf der Gegengeraden wird der Frust laut herausgeschrien.

Die Rot-Weißen haben vor allem Keeper Heimann auf dem Kieker, der beim Gegentor in der Tat keine gute Figur machte. RWE hat die bessere Spielanlage. Der FC Kray nimmt den Schwung des 1:1 mit. Kurz vor dem Pausenpfiff bettelt der Krayer Kehrmann um einen Platzverweis. Er fährt die ganze Palette der Nickligkeit auf, um einen RWE-Angriff zu unterbinden, was in einer ziemlich bösen Grätsche gipfelt. Der Schiedsrichter entspricht Kehrmanns Bitte. Kray spielt die zweite Hälfte in Unterzahl.

RWE kommt mit viel Schwung aus der Kabine und zu einigen guten Abschlüssen. Trotzdem herrscht auf den Rängen weiterhin eine gewisse Unzufriedenheit. RWE war mit Ambitionen in die Saison gestartet. Die Ansprüche wurden, wie leider schon oft in der Vergangenheit, von der Realität überholt. Mitte der zweiten Halbzeit ist sich die Defensive bei einem Krayer Freistoß wieder nicht einig. Und wieder macht Heimann keine gute Figur. Der Krayer Dressler staubt zur Führung ab.

Das Publikum reagiert mit ruhrpöttischer Deutlichkeit, vor allem, als sich die Zwischenstände der Klassenerhaltskonkurrenz herumsprechen, die samt und sonders in Führung liegt. „Diese Witztruppe, ällich…“, „Geh mia wech, do!“, „Wenn die heute verlieren, steigen die noch ab, ichsachEuchdat!“. Aus der Fankurve kommt „Wir wolln Euch kämpfen sehen!“. Der Rest des Stadions steht unter Schock. Die Krayer Fans reagieren mit „Und schon wieder keine Stimmung, RWE!“ sowie „Gegen Kray kann man mal verliern!“.

RWE stemmt sich gegen die Niederlage und rennt gegen die tapfer verteidigenden Krayer an. Mit einem Doppelschlag in der 80. Minute dreht der „Gast“ die Partie. Erst macht Löning per Kopf sein zweites Tor. Während der Torschütze noch durchgesagt wird, hält Marcel Platzek aus der zweiten Reihe drauf und erzielt die Führung. Im doppelten Torjubel ist vor allem Erleichterung zu spüren.

Und es ist interessant zu sehen, wie vielfältig das (Rot-Weiß) Essener Publikum ist. Mutter schwenkt die Fahne zusammen mit dem Söhnchen. Der klassische Meckeropa reißt die Arme in die Luft. Auf der „Alten Westtribüne“ feiern und brüllen Stehplatzfans und aktive Fanszene. Auch die eine oder andere klassische Kutte ist im Stadion. RWE mag sich schon lange auf einer Durststrecke befinden und sowohl im Management als auch im Sport einiges vor die Wand gefahren haben, aber das Umfeld lebt.

Kurz darauf ist der Klassenerhalt für RWE perfekt und wird mit dem Publikum zusammen gefeiert. Dem FC Kray sei viel Glück in der Oberliga gewünscht, heute hat sich das Team gut verkauft. Rot-Weiß Essens Kampf in Richtung „oben“ wird wohl andauern. Ein Erfolg ist vor allem dem Umfeld zu gönnen. Ein Besuch im „Stadion Essen“ sei jedem Leser empfohlen, der die Atmosphäre des Ruhrpottfußballs in einem relativ gelungenen Stadionneubau erleben will – Bratwurst von der Bude an der Hafenstraße inklusive!

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