Hope Solo „A memoir of Hope“ 2012 – No ending at all?

Hope Solo „A memoir of Hope“ – Rundumrezension von Jan-Hendrik Grotevent

„Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben.“ Der berühmte Ausspruch des spätrömischen Gelehrten Boëthius trifft auf viele berühmte Balltretende zu, auf Hope Solo ganz besonders. Wer sich mit US-amerikanischem Frauenfußball beschäftigt, hatte öfter das Bedürfnis, der Torhüterin ein „Bitte halt‘ die Klappe, ist schwierig, aber sag‘ jetzt besser nix“ zuzurufen.

Hope Solo "A memoir of Hope"

Das galt zur Weltmeisterschaft 2007, als das US Womens National Team das Halbfinale krachend verlor und die auf die Bank gesetzte Hope Solo kurz nach Abpfiff wutentbrannt verkündete, sie hätte die Bälle gehalten und man müsse sportlich in der Gegenwart leben. Das galt zu den Olympischen Spielen 2016, als Schweden die USA ins Elfmeterschießen mauerte und den Goldfavoriten dort nach Hause schickte. „Sie [Schweden] haben wie eine Bande Feiglinge gespielt“, schrie Hope Solo und läutete damit das Ende ihrer aktiven Karriere ein.

Jemand, der besser geschwiegen hätte, schreibt eine Autobiographie? Hope Solo hat es getan. „Solo – A Memoir of Hope“ erschien 2012 bei HarperCollins. Im Jahr darauf erschien online ein Zusatzkapitel, in dem Solo von Olympia 2012 in London erzählt. Ebenfalls 2013 erschien die deutsche Übersetzung von Michael Sailer im edel Verlag: „Mein Leben als Hope Solo“- das nette Wortspiel im Originaltitel ist leider unübersetzbar. Grundlage dieser Rezension ist die englische Originalausgabe von 2012, ohne Zusatzteil.

Hope Amelia Solo wurde am 30.Juli 1981 in Richland, Washington, geboren. Dort besuchte sie die Schule. Später ging sie auf die University of Washington nach Seattle. Während ihrer High School-Zeit spielte sie Fußball und Basketball. Auf dem grünen Rasen war sie zunächst Stürmerin. Erst auf dem College wechselte sie ins Tor, im Rahmen der regionalen und später nationalen amerikanischen Förderprogramme. Sie spielte für die U16, U19 und U21 der Vereinigten Staaten. Im April 2000 gab sie beim 8:0 gegen Island ihr Debüt in der A-Nationalmannschaft.

Mit dem USWNT gewann sie olympisches Gold 2004, 2008 und 2012, bei den letzten beiden als Stammtorhüterin. 2011 wurde sie Vizeweltmeisterin, 2015 Weltmeisterin. Bei beiden Turnieren bekam sie jeweils den goldenen Handschuh als beste Torfrau des Turniers. Hinzu kommen Cluberfolge und zahlreiche weitere Auszeichnungen. Mit 202 Länderspielen hält sie den Weltrekord für Torhüter. Sie gilt als die beste Torhüterin ihrer Zeit.

Hope Solo stammt aus schwierigen Familienverhältnissen. Ihr Vater ist sprunghaft, unzuverlässig und wahrscheinlich an mehreren Fronten kriminell. Ihre Mutter, die sich alle Mühe gibt, ihren Kindern ein trautes Heim zu bieten, wird darüber zur Alkoholikerin. Hopes Bruder hat das Image eines Straßenschlägers. Das Verhältnis zum Stiefvater ist problematisch. „My family doesn’t do happy endings. We do sad endings or frustrating endings or no endings at all.“, schreibt sie gleich im Prolog.

Solo selbst bezeichnet ihre Familienverhältnisse als prägend für sich. Die Beziehung zu ihrem Vater nimmt eine zentrale Rolle im Buch ein. Der Italo-Amerikaner verlässt die Familie oft, stiehlt Haushaltsgeld, entführt seine Kinder, verschwindet schließlich völlig und lebt als Obdachloser in Seattle. Als einziges Mitglied ihrer Familie hat Hope Solo ein enges Verhältnis zu ihm, trotz aller Enttäuschungen, die er auch ihr zufügt. Sie hält Kontakt mit ihm, er sitzt bei ihren College-Spielen hinter dem Tor. Als er kurz vor der Weltmeisterschaft 2007 stirbt, verstreut sie nachher seine Asche im Torraum.

Hope Solo erzählt von Freundinnen, von ihrer Zeit auf der Schule, auf dem College. Wie sie den Gastronomen Adrian kennenlernt. Die beiden entwickeln über die Jahre eine tiefe Beziehung, die jedoch platonisch bleibt, da keiner der beiden den entscheidenden Schritt macht.

Und natürlich berichtet sie von ihrer Fußballkarriere mit allen Ups and Downs. Als Stürmerin hält sie den Torrekord ihrer High School. Auf dem College wird sie, mehr oder weniger freiwillig, zur Torhüterin. Mit der Hilfe ihrer Trainerinnen schafft sie es in die Jugendauswahlen der USA und schließlich in die Nationalmannschaft. Dort trifft sie auf die Pionier-Generation des US-amerikanischen Frauenfußballs, die „99ers“, die, 1991 als Hobby-Fußballerinnen den WM-Titel holten. 1999 gewannen sie die Heim-WM und setzten den (Frauen)Fußball auf die sportliche Landkarte der USA. „Wow, Mia Hamm is yelling at me.“- die Heldinnen machen auch auf die junge Hope Solo Eindruck.

Im USWNT setzt sich Hope Solo allmählich gegen die Veteranin Briana Scurry als Nummer Eins durch. Offen erzählt sie von Cliquenbildungen und der Macht der „99er“ über Trainer und Funktionäre. So führt die Entscheidung einiger Veteraninnen dazu, dass der überforderte Nationaltrainer Greg Ryan Hope Solo zum Halbfinale der WM 2007 gegen Brasilien auf die Bank setzt- Scurry kenne den Gegner aus dem olympischen Finale von 2004 und sei erfahrener. Die Abwehr ist unorganisiert, Scurry unsicher, die USA verlieren mit 0:4, bis heute die höchste Turnierniederlage des erfolgsverwöhnten Teams.

Hope Solo tritt vor die Kameras und äußert sich wie erwähnt. In der Tat sind ihre Aussagen wenig kameradschaftlich Briana Scurry gegenüber. Doch es folgt erst ein Spielerinnen-Tribunal innerhalb des Teams, dann schließt die Mannschaft unter dem Kommando der Veteraninnen Hope Solo von der Länderspieltour durch die USA aus und schneidet die Torhüterin. Sie sei eine „Verräterin“. Erst Pia Sundhage, Nachfolgerin von Gerg Ryan als Nationalcoach, glättet die Wogen. Hope Solo wird wieder zur Nummer Eins, gewinnt olympisches Gold in Peking, setzt ihre Vereinskarriere unter anderem in Schweden und Frankreich fort.

Sie erzählt vom epischen Match der USA im Viertelfinale der WM 2011 gegen Brasilien und vom verlorenen Finale gegen Japan. Sie berichtet auch vom Hype rund um das USWNT nach der Vizeweltmeisterschaft und ihrer Teilnahme bei „Dancing with the Stars“, dem amerikanischen Pendant zum hiesigen „Let’s Dance“ (und wohl von ähnlichem Niveau). Das Buch endet in einem (tatsächlich friedlichen) Silvesterabend bei ihrer Großmutter.

„Solo- A Memoir of Hope“ ist ein Schmöker. Man weiß natürlich nicht, wie viel dabei der Mitarbeit der Journalistin und Co-Autorin Ann Killion zu verdanken ist, aber: Hope Solo kann erzählen und man hat immer Lust, weiterzulesen. Sie beschreibt die Dinge detailliert und gefühlsecht, Man erkennt das Augenzwinkern, wenn sie ihre Heimatstadt beschreibt, deren Hauptarbeitgeber die Atommeiler des Manhattan Projects und das Logo ihrer High School ein Atompilz waren.

Man fühlt die Trauer um ihren Vater. Man nimmt ihr die Verunsicherung rund um die Mobbing-Geschichte nach 2007 ab ebenso wie ihren Neid, wenn sie die heilen Familienwelten ihrer Kindheitsfreundinnen beschreibt. Ihre Sprache ist rauhbeinig, aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ohne Hang ins theatralische. Allerdings ist sie auch ohne Formulierungen, die inhaltlich über das Ziel hinausgehen und die eigentlich kennzeichnend für Hope Solo sind. Das Statement von 2007, die „Bande Feiglinge“ sowie viele weitere Aussagen und Interviews von Hope Solo sind Belege dafür. Hier dürfte Ann Killion tatsächlich im Buch nachgeholfen haben.

Um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen: Jemand, der besser geschwiegen hätte, schreibt eine Autobiographie? Ja, und das ist gut! Einerseits gibt es eine Menge aus dem Leben der Hope Solo zu erzählen und es ist spannend zu erfahren, vor allem, wenn die Autobiografin es dann auch gut darstellen kann. Andererseits ist es der Einblick in eine Persönlichkeit, die mehr ist als 202 Länderspiele oder die eindimensionale Standard-American Sports Hero-Geschichte. Aus dem „We don’t do happy endings“ ihrer Famile zieht Hope Solo ein Lebenscredo: Ich muss mich durchsetzen, ich lasse mir nichts verbieten, ich sage, was ich denke!

Dazu gehört ein innerer Konflikt: Der Widerstreit zwischen Kopf und Bauchgefühl. Ihre Aussagen von 2007 und 2016 etwa sind ja durchaus nachvollziehbar. Die Entscheidung von Greg Ryan, sie zum WM-Halbfinale rauszunehmen, war bescheuert. Ja, die Schwedinnen haben 2016 defensiv gespielt. Und klar war Hope Solo sauer und frustriert, aber ihre Aussagen gingen weit über das Ziel hinaus und waren verletzend. Und tief in ihr drin weiß Hope Solo das. Es scheint im Buch auch bei anderen Ereignissen durch.

Sie schafft es aber nur teilweise, diese Ereignisse zu reflektieren und Fehler einzusehen. Und eben dieser innere Konflikt zwischen „ich habe doch recht“ und „das war jetzt nicht wirklich geschickt, was ich da angestellt habe“, Hope Solos Unfähigkeit, diesen Konflikt vor sich selber, vor den Menschen um sie herum und auch vor dem Leser ihres Buches zu lösen, macht diese Autobiographie sehr interessant.

Hübscher Nebeneffekt: Die mehr oder weniger bewusste Dekonstruktion des allzu amerikanischen Standard-American Sports Hero-Mythos der „99er“. Mia Hamm, Kristine Lilly, Joulie Foudy usw. dürften wenig Freude an dem Buch haben.

„Solo – A Memoir of Hope“ ist ein sehr lesenswertes Buch von und über eine interessante Persönlichkeit. Man wünscht sich fast eine Fortsetzung, um von ihr selbst mehr über ihr Leben seit 2011 zu erfahren. 2012 kann man sich ja noch herunterladen, aber dann? Wie hat sie ihren jetzigen Ehemann Jerramy Stevens kennengelernt, hat er sie wirklich am Vorabend ihrer Hochzeit versohlt, sind die beiden tatsächlich besoffen Auto gefahren und vor allem: Was ist aus Adrian geworden? Was ist hinter den Kulissen tatsächlich passiert, nachdem die Schwedinnen eine Bande Feiglinge waren? Wie ist ihre Sicht auf den Kampf um Gleichberechtigung, dem sich das USWNT in den letzten Jahren verschrieben hat und an dem sie sich (ungefragt) auch beteiligt? Undsoweiterundsoweiter.

Ich würde das genauso gerne lesen wie ihre Lebensgeschichte bis 2011. No ending at all?

Hope Solo "A memoir of Hope"

Solo- A Memoir of Hope

Hope Solo with Ann Killion

HarperCollins

285 Seiten

ISBN 978-0-06-213674-9

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