1981 – Aus der „Fußballfibel Arminia“: Es donnert bis Brackwede

Es donnert bis Brackwede (1981)

Jeder von uns hat so ein Spiel im Kopf. Das eine Spiel, bei dem wir nach dem Schlusspfiff vor Glück nicht glauben können, was da gerade passiert ist. Das eine Spiel, bei dem wir schweiß- und tränennass die Alm verlassen. Die Partie, auf die wir noch Jahrzehnte später anstoßen. Wovon wir unseren Enkeln erzählen. Das eine Spiel, dessen Nachhall so stark bleibt, dass die folgenden Fan-Generationen ihn weitergeben können, ohne selbst dabei gewesen zu sein.

Dieses Spiel ist so eins. An diesem Tag geht es mal wieder um alles. Der neue Trainer Horst Franz hat die Blauen nach einer furchtbaren Hinrunde etwas stabilisiert, aber es ist eine Achterbahn: Beachtlichen Heimerfolgen stehen sang- und klanglose Auswärtspleiten gegenüber. Und heute? Ein Sieg im Heimspiel gegen 1860 München muss her, sonst steht der nächste Abstieg aus der Bundesliga fest. Es ist ein Samstag im Mai 1981, es ist warm, was uns aber nicht davon abhält, unsere Kutten zum Almauftrieb anzuziehen. Manche ziehen sogar noch die Parkas an. Wir stehen auf der alten Bretterbude. Wir haben Gaströten dabei und riesige, selbstgebaute Fahnen.

1981

Năstase haut einen Freistoß in Kneibs Tor, in „unser“ Tor, direkt vor der Südtribüne. Auf Block 6 die Fans der Sechzger, die jubeln. Und wir hoffen, bangen… und jubeln auch. Elf Minuten nach der Münchner Führung kommt ein langer Ball in den Strafraum. Gerd-Volker Schock rennt durch, macht das lange Bein und erzielt den Ausgleich.

Es ist die Schlussviertelstunde des Spiels, die unvergessen bleibt. Wieder ist es Viorel Năstase. Der rumänische Sturmpartner von Rudi Völler kommt halblinks im Sechzehner an den Ball und schlenzt das Leder elegant neben den langen Pfosten. Wolfgang Kneib, der Lange im Tor der Blauen, streckt sich vergeblich. Es wird mucksmäuschenstill auf der Alm. Beklemmung, Frust, Verdruss. Und Resignation.

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Nicht wenige von uns verlassen die Spielstätte. Die letzten Wochen, diese ganze Zeit hat uns zermürbt. Wir wollen hoffen, können es aber nicht mehr. Das war es jetzt mit der Bundesliga. An den Bierbuden vorbei, wo Münchner Fans stehen und den Sieg begießen, geht es zum Ausgang. Zur Melanchthonstraße, zur Stapenhorststraße. Das Stadion leert sich. Flucht vor dem Unausweichlichen. Zwei Minuten sind noch zu spielen, als es Freistoß für die Blauen gibt. Auf unser Tor, auf das Tor vor der Südtribüne.

Helmut Schröder hält drauf, der Ball wird abgefälscht und landet in den Maschen. Eilenfeldt holt den Ball aus dem Tor und legt ihn auf den Anstoßkreis.

Und wir sind wieder wach! Der Ausgleich lässt uns wieder hoffen. Wir brüllen, wir singen, wir ruinieren die Stimmbänder, wir trampeln auf die Bretter, unglaublicher Radau – die von uns, die schon außerhalb des Stadions sind, hören den Torjubel bis zur Schlosshofstraße und kommen in Scharen zurückgelaufen. Angriff, Graul auf rechts, spielt den Ball flach rein, Eilenfeldt grätscht – und die Alm explodiert.

Uns ist schwarz vor Augen, Ekstase, Gebrüll. Wir werden alle mitgerissen vom Jubelsturm. Tollhaus, die Bierbecher fliegen, Kutten, Fahnen, Schals, Mützen, Leiber, alles wirbelt durcheinander und wird mit Gerstensaft getränkt, Tränen, wir fallen übereinander her, hüpfen, springen aufs Spielfeld, hüpfen weiter, fallen zusammen mit den Spielern über Eile her, die Stimmen brechen und werden tagelang in Streik treten. Sie hören den Torjubel noch im zwei Kilometer entfernten Brackwede.

Irgendwo da hinein ertönt der Schlusspfiff. Der Jubel hält an. Horst Franz läuft ungläubig an der Seitenlinie entlang und verschränkt immer wieder die Arme hinter dem Kopf. Noch lange nach dem Ende sitzen viele von uns noch auf dem kruden Konstrukt aus Stahlrohr und Holz, auf unserer Alm. Wir können nicht fassen, was gerade passiert ist. Wochen der Unsicherheit, des Hoffens und Bangens, des immer latenten „Es geht eh wieder schief“, des Auf und Nieder, sind heute innerhalb von zwei Minuten einfach gesprengt worden.

Oben an der Oetkerhalle steigen wir in die Linienbusse. Die sind brechend voll. Wir feiern. Mehrfach müssen die Busse anhalten, oft müssen die Fahrer über das Bordmikro mit uns schimpfen. Keine Chance. Wir schreiben Geschichte, da lassen wir uns nicht stören.

In der „Fußballfibel DSC Arminia Bielefeld“ ist noch mehr Geschichte geschrieben. Das Buch gibt es hier. Und hier. Oder hier. Und im Fanladen. Hier noch ein paar weitere Leseproben.

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