Was hat sich verändert? 1986 – ??

von Jan-Hendrik Grotevent- Was hat sich verändert?

Wenn man länger zu Arminia geht, hat man tabellarische Berg- und Talfahrten miterlebt, verschiedene Almarchitekturen besucht, verschiedene Chants gebrüllt, verschiedene Schals getragen und sogar verschiedene Bratwürste gegessen. Wenn man wie ich seit 30 Jahren zur Alm pilgert, stellt sich die Frage fast automatisch: Was hat sich verändert?

Früher kam die Berichterstattung aus der Zeitung. Zwei Seiten haben die Postillen einem Arminia-Spiel gewidmet. Kneib im Tor! Westerwinter im Sturm! Das war mein Einstieg als Sextaner, noch vor dem ersten Almbesuch, gerade durch die WM in Mexiko zum Fußball bekehrt. Das ist in der folgenden Gymnasialkarriere ein liebes Begleitritual zur Almbesuche geblieben. Spiel gesehen, Spiel mit dem Sonntagsblättchen nachbereitet.

Später kam dann die Bundesliga, und damit das Privatfernsehen, wo Jörg Wontorra und Konsorten erst eine Extra-Kamera für Stefan Effenberg bereitstellten und dann „Arminia Bieläfäääld“ in einem Tonfall sagten, als müssten sie ihren Arbeitsplatz am Montagmorgen beschreiben. Jetzt ist es das Internet, in dem ungezählte Magazine hundertfach genau das selbe sagen wie früher die zwei Seiten Druckerschwärze. Und wo ich selbst meinen rundumbeobachteten Senf dazu geben kann.

was hat sich verändert

Zum Almbesuch gehört sein Drumherum. In meiner Frühphase war es die Buslinie 21, Radrennbahn bis Oetkerpark. Spätestens ab Jahnplatz war die orangene Ziehharmonika auf Rädern knallvoll. Spätestens im Stau auf der Stapenhorststraße jammerten die ersten über menschliche Bedürfnisse. Der Oberstufler radelte zur Alm. Den Studenten verschlug es in die ach so verbotene Stadt, nach Münster. Seitdem ist die Anreise zur Alm – und damit übrigens auch die Vorfreude auf das Spiel – um 90 Minuten plus Nachspielzeit verlängert und spielt sich in Bimmelbahnen über Warendorf oder Hamm ab.

Dann folgt wahlweise die Linie Vier oder ein Fußweg, der sich herrlich zur Fress- und Partytour ausbauen lässt mit den Stationen Kronenstübchen, Siegfriedplatz, Currywurstbude und Peterchen. Wenn der Oberstufler früher das Fahrrad an der Bosserealschule abgeschlossen hatte, ging es direkt zum Eingang Melanchthonstraße. Der ist ja nun Geschichte. Jetzt ist es der Eingang Süd. Nicht über den Parkplatz, der ist nur für die Ost. Apropos Ost – Block 5 ist auch Geschichte. Aber dort ging es los für mich. Im Blick nach links wuchsen Bäume hinter den paar Stufen Südtribüne.

Gegenüber die Bretterbude alias Westtribüne. Rechts der Gästesteher, erst ein massiges Relikt aus den glorreichen Frühachtzigern, dann zurückgebaut auf das Niveau der damaligen Südtribüne. Ohne Bäume. Mit dem Ausbau auf ein „L“, wie der Facharmine sagt, wurde der Blick etwas bizarr – man steht auf der Vergangenheit und schaut sich das an, was der Verein für Zukunft hält. Mit der nächsten Erweiterung auf ein „U“ relativierte sich das zu einer permanenten Gegenwart. Vielleicht bin ich deswegen von Block 5 auf Block 3 umgezogen.

Der Blick wurde dann noch einmal ergänzt um eine neue Osttribüne. Modern, stylish und zu teuer. Interessanter Gedanke übrigens: Was, wenn man die Almarchitektur den sportlichen Leistungen hätte anpassen müssen? Wie viel das wohl gekostet hätte? Die Stadionwerbung erlebte ihre eigene Evolution. Das Shampoo vom Trikot mal als Beispiel: In den ersten Jahren verlas der unsterbliche Lothar Buttkus den Werbetext. Dann kamen Audiospots. Mit der Videoleinwand hielt der Laborchef Einzug auf die Alm. Zur Zeit ist es das schwarzweißblaue Team selbst, das Werbung für das Lockenkoffein macht.

Früher waren es die Schulkumpels, mit denen zur Alm geradelt wurde. Zu Beginn der Studienzeit waren die Spiele ein Homecoming. Die Jungs wiedertreffen, gemeinsam das Gekicke ertragen und nachher ausgiebig das Wochenende zelebrieren. Heute bin ich berufstätig in Münster und Wiedertäufer. Also auf der klassischen Mission, die biedere Domstadt zu missionieren.

Die Wiedertäufer fahren mit der Bimmelbahn. Sie machen die Fress- und Partytour (Stationen siehe oben) und stehen in ihrer Kuschelecke obenlinksMittelhöhe auf Block 3. Und sie erleben die Atmosphäre. Früher hat einer angestimmt, meist einer der kultigen Kuttenträger mit Fett-Vokuhila, Schnauzbart und einer Stimme irgendwo zwischen Tom Waits und Lemmy Kilmister. Aber die Alm war für jedermanns Gebrüll offen. Wir haben als Jungspunde Wettbewerbe veranstaltet: Wer stimmt pro Spiel die meisten Chants an?

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Später entwickelte sich auf Block 1 die aktive Fanszene und verschrieb sich dem 90-Minuten-Dauersupport. Vorteil: Es ist immer irgendwie Stimmung, unabhängig vom Spiel. Nachteil: Es ist immer irgendwie Stimmung, unabhängig vom Spiel. Das Liedgut ist um einiges komplexer geworden. Früher gab es bei deutlicher DSC-Führung gegen, sagen wir, Eintracht Rheine etwa ein „Rheine, Rheine – Ha! Ha! Ha!“ – Yes, den habe ich angestimmt und setze mich kurz vor Schlusspfiff an die Spitze des heutigen Anstimm-Wettbewerbs.

Heute gibt es unter anderem dieses Lied mit „Immer dabei in Ewigkeit“. Es hat eine Art stillen Postversand über die Bereiche der Alm gemacht. Eigentlich ist man „immer dabei, ob nah oder weit, in Ewigkeit“. Vereinzelt ist man „Immer dabei, ob blau oder weiß“ oder „immer dabei, ob nah oder weiß“ oder „immer dabei, schwarz, blau oder weiß“. Ich vermute ja, dass die gesungene Melodie des 2Unlimited-Musikattentats „No Limit“ nur deswegen so gut ankommt, weil der Text nur aus den Silben „Oh“ und „La“ besteht.

Zumindest herrscht beim „Bie-le-feld! Bie-le-feld!“ Textsicherheit und Einigkeit, wenn es von der ganzen Alm kommt und die Mannschaft zum Zwischenspurt oder Endspurt antreibt. Diese drei Silben waren, sind und bleiben Ausdruck des Adrenalinspiegels in den kollektiven Adern des Almpublikums. Adrenalin, das man am nächsten Tag stärker fühlt als einen Abend mit drei Flaschen Rotwein. Auf welche Art und Weise es sich sanglich äußert, ist da fast schon egal.

Um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen: Was hat sich verändert? Nichts. Arminia spielt.

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