Arminia Aufstieg 2020 – Höher, schneller, weiter, stärker

Arminia Aufstieg – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Es ist der Spätsommer 2019. Arminia hat gerade mit 5:2 beim SV Wehen Wiesbaden gewonnen. Die Rhein-Main-Arminen laden zur gemeinsamen Stadtbesichtigung und haben einen Versorgungsstand neben dem Gästeeingang der BRITA-Arena aufgebaut. Arminias Pressesprecher Daniel Mucha richtet ein paar Worte an die Fans und sagt unter anderem: „Wenn die Gegner schwächeln, werden wir da sein.“ Damit hat er einen Teil des sportlichen Erfolgs auf den Punkt gebracht. Diese Aussage gilt für die Tabelle, in der Arminia beispielsweise sechs Punkte gegen Wehen Wiesbaden holte, der HSV vier, der VfB Stuttgart nicht einen einzigen. Die Aussage gilt auch auf dem Platz, wo Arminia sicher und effektiv spielt.

Arminia Aufstieg

Dennoch ist Muchas Statement nur ein Teil des Ganzen. Im Jahr 2020 hat Arminia bisher kein einziges Spiel verloren. Gerade einmal zwei Niederlagen sind es in der gesamten Saison. Nimmt man das Kalenderjahr 2019 hinzu, hat Arminia in 48 Ligaspielen 95 Punkte geholt und gerade einmal fünf Mal verloren. Ich hätte nie gedacht, dass ich sowas mal schreiben darf, aber: Es konnte keinen anderen Aufsteiger und auch keinen anderen Zweitligameister 2020 geben als Arminia Bielefeld. Da konnten Funktionäre und Anhänger der abgehängten ehemaligen Fußball-Schwergewichte noch so oft behaupten, die Bielefelder Erfolge seien ein Strohfeuer.

Verdienter Lohn

Sportlich ist es der Lohn für die Arbeit des Uwe Neuhaus und seinem Kader. Völlig klar: Neuhaus hat den DSC zu einer konstant erfolgreichen Truppe und zum Zweitligameister gemacht. Statistische Belege müssen, denke ich, hier nicht nochmal aufgezählt werden. Jeder Bericht, jede Zahl und selbst diese merkwürdigen Wettquoten, die Arminia vor jedem Spiel postet, sprechen da eine deutliche Sprache – sucht Euch die schönsten aus, es gibt reichlich Angebot. Aus meiner Sicht hat die positive Entwicklung des „Sportclubs der Ostwestfalen“, die jetzt im Bundesligaaufstieg ihren (vorläufigen?) Höhepunkt findet, schon 2011 begonnen.

Der damalige Crash mit Schuldenberg, Drittliga-Abstieg und vermasseltem Saisonstart war die entscheidende und nötige Zäsur für Arminia. Überall orientierte man sich um. Es ging weg vom Größenwahn, es ging weg von Tribünenbauten, es ging weg von mehr oder weniger nebligen Ansprüchen hin zur Besinnung auf sich selbst, hin zu bodenständigen Leitbildern und zurück zur Fan- und Menschennähe.

Ja, auch die Rückschläge gehören dazu, Darmstadt, die Episode Rehm/Kramny, die Fast-Pleiten. Denn anders als früher hat Arminia, zusammen mit helfenden Händen aus dem Umfeld, die Rückschläge nicht abgetan, sondern aus ihnen gelernt und mit (hoffentlich) nachhaltiger Wirkung gelöst. Und wenn es sportlich ein Gesicht für diese „Ära“ gibt: Fabian Klos. Dessen Rekorde muss ich nun wirklich nicht nochmal aufzählen.

Und nun?

Was 2011 begann, hat Uwe Neuhaus jetzt (vorläufig?) vollendet. Nun also Bundesliga. Wie geht es da weiter? Im Umfeld hört man das Übliche: Vom ironisch gemeinten internationalen Wettbewerb (Standardscherz) über die Entwicklung sportlicher Überlebensszenarien (mehr oder weniger realistisch) bis hin zu Tasmania Berlin (wenn es in Sandhausen nur ein 1:1 gibt).

Es ist, wie es ist: In den elf Jahren, in denen Arminia zwischen Großaspach und Stuttgart herumreiste, hat die Bundesliga sich gewaltig weiterentwickelt. Nun kehrt unsere kleine Arminia zurück, ohne von den wirtschaftlichen Ausschüttungen, die die Bundesliga in dieser Zeit genießen durfte, profitiert zu haben. Ein „Schlauchboot gegen 17 Motorboote“, wie Samir Arabi durchaus treffend feststellt. Und das Schlauchboot wird einen verdammt guten Außenborder brauchen, um mindestens zwei, am besten drei der Motorboote, Autofrachter, Fregatten und Luxusyachten hinter sich zu lassen.

Wie das aussehen kann, wie das funktionieren kann, ist schwer vorauszusehen. Duelle wie Klos gegen Hummels, Voglsammer gegen Alaba, Pieper gegen Lewandowski haben etwas Utopisches, obwohl sie beschlossene Zukunft sind. Sehen wir die erste Halbzeit des Pokalspiels gegen Schalke, in der der Bundesligist den Blauen nicht den Hauch einer Chance ließ? Oder sehen wir, die zweite Halbzeit, in der die Blauen über den Kampf ins Spiel fanden und die Königsblauen dominierten, auch weil diese einen Gang zurückschalteten und Unsere unterschätzten?

Das Spiel mit viel Ballbesitz, das Lauern auf Lücken und Fehler beim Gegner, dass Arminia momentan auszeichnet, wird in der Bundesliga nur schwer durchzuhalten sein. Das Tempo ist höher, die Gegner gewitzter. Dass Oberhäusler den DSC unterschätzen werden, wird sicher eine Chance sein, aber sicher kein Garant für eine erfolgreiche Spielzeit. Machen wir uns nichts vor – der Klassenerhalt wird eine Mammutaufgabe. Auf jeden Fall werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass es erstmal nicht bei zwei Saisonniederlagen bleibt.

„Dabei sein ist alles?“ Von wegen…

Wie also die erste Bundesligasaison nach elf Jahren angehen? An dieser Stelle räumen wir mal mit einem populären Irrtum auf. Viele sind ja der Meinung, das Motto der Olympischen Spiele sei „Dabei sein ist alles“. Was für ein unglaublicher Schwachsinn. Für Besucher und Fans gilt das bestimmt, aber: Welcher Sportler wird schon gerne Letzter, auch wenn es noch so verdient ist? Welche Mannschaft steigt ab und sagt dann: „Juhuuu, wir sind ein Jahr älter und wissen nun, wie es ist, von Augsburg die Kiste voll zu kriegen. Wie geil, wir waren dabei!“.

Das ist vielleicht 40 Jahre später relevant, wenn man vor den Enkeln angeben will. Oder vielleicht, wenn man für den SC Paderborn spielt. Denn unsere Nachbarn haben genau das gemacht: Von vornherein jegliche Chance kleingeredet, ein „Dabei sein ist alles“ ausgelobt und entsprechend abgeschnitten.

Wie lautet nämlich das tatsächliche olympische Motto? Richtig, „Höher, schneller, weiter, stärker“. Die Bundesliga ist immer noch ein sportlicher Wettbewerb und man sollte zumindest versuchen, diesen anzunehmen, selbst wenn man ein Schlauchboot gegen Motorboote ist. Und jetzt ist es die schwarzweißblaue Herausforderung, genau das hinzubekommen. Wie gesagt – eine Mammutaufgabe. Was beruhigt, ist die bisherige Arbeit der Verantwortlichen.

Wir Fans können ein berechtigtes Vertrauen in die Arbeit der wirtschaftlichen und sportlichen Leitung haben. Wir können davon ausgehen, dass ein sportliches Konzept zum „Überleben“, das mehr ist als „Dabei sein ist alles“ zumindest in den Hinterköpfen ist. Wir können davon ausgehen, dass es im Fall des direkten Wiederabstiegs eine „Exit-Strategie“ gibt, die uns ein Braunschweiger, Nürnberger, Hannoveraner und Paderborner (diesmal 2015) Schicksal erspart.

Und wie geht jetzt die 2011 begonnene Entwicklung weiter? Wenn wir nach der Zielsetzung des Bündnis Ostwestfalen gehen, ist alles tutti: Top 25 in Deutschland. Doch war es das die letzten beiden Jahre auch schon. 2018: Platz 22. 2019: Platz 25. Also alles gut, oder? Geht Arminia den nächsten Schritt der positiven Evolution und schafft es, sich im unteren Mittelfeld der Eliteklasse zu etablieren, wenn auch vielleicht nicht sofort? Nehmen wir gegebenenfalls Fahrstühle in Kauf? Kommt (wie bisher immer) der nächste Absturz?

Arminia Aufstieg

Wissen wir nicht. Die Zukunft ist ungewiss. Beruhigend ist aber, dass zum Ersten die Zukunft eh immer ungewiss ist, und zum Zweiten Arminia wohl noch nie auf so sicheren Beinen stand wie gerade jetzt.

„Ein Wunder, das allerdings auf natürliche Weise zustande kam und das wir dem Fußballverstand unserer Spieler und der Vollkommenheit ihres Spiels verdanken. [..] Es ist ein großer Tag, es ist ein stolzer Tag. Seien wir nicht so vermessen, dass wir glauben, er müsste erfolgreich ausgehen.“ – Herbert Zimmermann 1954

„In einer Stadt, die es nicht gibt, geschehen Dinge, die niemand glaubt.“ – Anzeigetafel auf der Alm beim Aufstieg 2015

Irgendwo dazwischen geht es weiter.

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