Jahresrückblick 2021 Teil 2 – Schulpaddelschiffboot

Jahresrückblick 2021-Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Arminia 2021 – das waren wieder viele Herzpillen, viel Auf und Nieder, viel „Raus!“, viel Leiden, viel Leidenschaft, viel blaues Herzblut, viel Block 3, kurz: Arminia. Zur neuen Saison dürfen wir wieder an Deck. Auf Block 3, auf die Postheide. In Teil 2 des Jahresrückblicks brauchen wir viiiiel Geduld. Und haben die…in Ansätzen.

Wer Teil 1 noch nicht gelesen hat…bitte hier entlang.

Vom Paddelboot zum Schulschiff – Die neue Crew

Als das alljährliche „Gebt Fabi einen Vertrag bis der 85 ist, sonst sagen wir ‚Arabi raus!’“ erledigt ist, dreht sich das An- und Abheuerungskarussell der Sommerpause. Hier folgt nun der für jeden Jahresrückblick obligatorische umfassende Statistikteil für die Ab- und Zugänge von Blauen und Blauinnen. Mit qualitativen Daten.

jahresrückblick 2021

Bei den Blauinnen natürlich nicht zu vergessen: Tom Rerucha, der neue Coach.

Oh, wie ist das schön – Erwartungen in schwarzweißblau

Arminia hat sich mit einer geballten Ladung junger, technisch starker und versierter, vielversprechender Talente personell aufmunitioniert- Männlein und Weiblein gleichermaßen. Obwohl… der Weiblein-Kader ist so neu, dass wir uns trotz offensichtlicher Mentalgespenster (Wiederaufstieg) erstmal zu keiner lauten Prognose hinreißen lassen. Und dann wirft die nächste Corona-Zwangspause die Mädels nach einer guten Vorbereitung zurück. So starten sie die Saison quasi bei Null und liefern im DFB-Pokal das maximale an Spannung: Erfolgreiches Elfmeterschießen.

Bei den Männlein ist „konkurrenzfähiger“ das Schlagwort der Stunde. Versprechend viel entsprechen wir uns und haben richtig Appetit. Beim Pokalauftakt in Bayreuth zeigt sich die schwarzweißblaue Band denn auch recht unterhaltsam und gewinnt mit 6:3. Das Schönste: Wir durften wieder ins Stadion! Auch auf die Alm! Das Glücksgefühl, bei der Hymne wieder tausende emporgereckte Schals zu sehen, „Bie-le-feld! Bie-le-feld!“ zu brüllen…, da gibt es nur einen Schluss: „Oh, wie ist das schön!“, und das stimmen wir in den ersten Minuten der Saison beim ersten Almauftrieb seit 11 Monaten gegen Freiburg an.Und sind ostwestfälisch: „Und? War’s gut, mal wieder hier gewesen zu sein?“ – „Jou.“.

Die ersten drei Spiele ist Arminia ungeschlagen. Und ohne Sieg. Das zweite Saisonspiel in Fürth sorgt für erstes Stirnrunzeln: Das 1:1 ist für lange Wochen der einzige Punkt, den die Kleeblätter überhaupt holen. Ausgerechnet gegen uns. Und wir können über diesen Punkt noch dankbar sein, so fahrig, wie die Blauen aufgetreten sind.

Warten auf das Einruckeln

Am vierten Spieltag zeigt die erste Niederlage in Gladbach die Herausforderung der nächsten Wochen. Arminia spielt um einiges besser als noch in der Vorsaison, schießt aber keine Tore. Die Gegner schon, trotz einer ordentlichen DSC-Defensive. Das Spiel nach vorne muss sich einruckeln. Und. Das. Dauert. Oder anders: Passiert erstmal nicht. Gutes Beispiel: Das Heimspiel gegen Hoffenheim, als die gesamte Angriffsreihe einen auf Voglsammer im Mai macht.

Frank Kramer jedenfalls ruckelt an der Taktik herum, ruckelt an der Startelf herum, ruckelt sich durch Fußballphrasen. Und das Umfeld verspürt mehr und mehr den Drang, an Kramers Stuhl, wenigstens aber an Arabis Stuhl herum zu ruckeln.

Nur eins ruckelt ziemlich doll und das sind Arminias Sauf-und-Fress-Bezahlsysteme. Auf der Alm wird das bargeldlose Bezahlsystem eingeführt. EC-Karte geht, ebenso eine Knappenk…Verzehrkarte, die man an entsprechenden Schaltern aufladen kann. Dann ruckelt jemand wahlweise an den Geräten, an der Internet-Bandbreite oder an irgendeinem Stecker und das Bezahlsystem fällt aus, fällt teilweise aus, dann auch nicht, nur keiner weiß es…und auf der Postheide gibt es Wertmarken, oder auch nicht, dafür Wurstmarken und…ich schlage jedem Arminia-Besucher vor, sich ein Pappschild um den Hals zu hängen, auf dem steht: „Ich habe Hunger. Gebt mir was zu Essen, dafür fege ich die Wurstbude“.

„Einruckeln“ ist übrigens ein Zitat von Tom Rerucha. Auch bei den Blauinnen ist das eine Herausforderung. Die Postheide – Postheide-Fluch, Postheide-Fluch! – erlebt erstmal zwei torlose Unentschieden, ein 0:4 gegen Siegen, und ein schmerzloses Pokalaus gegen den Bundesligisten aus Köln.

Kein eigenes Heimtor. Auswärts verlieren sie bei Kölns Zweitvertretung und fliegen bei Germania Hauenhorst aus dem Westfalenpokal – einem Gegner, dem sie 2018/2019 insgesamt 14 Tore reingezimmert haben. Zwischenzeitlich haben wir Bedenken im Vereinsheim, an der Wurstbude, auf den Betonstiegen. „Aufstieg? Besser erstmal einspielen.“ – „Wenn’s nicht noch schlimmer wird…“

Dann gibt es eine Rückkehr zu feiern. Ronze ist wieder da! Nicht „Rozze“, wie der livetickernde Rundumbeobachter gehört haben will. Mann, ruft Euch mal was auf dem Platz zu, was ich sofort kapiere, ey! Giustina Ronzetti hebt den Altersdurchschnitt von Toms Krabbelgruppe zwar um…drei Tage, aber ihre Erfahrung hilft deutlich dabei, Sicherheit in die Mannschaft zu bringen.

Natürlich spielen auch der bekannte Kampfgeist und die Community-Atmosphäre der Blauinnen ihre Rollen. Und, dass die Truppe arbeiten will. „Das haben wir lang genug trainiert.“, erzählt Tom nach einem Tor von Eleonora Ejupi, „Ich habe gesagt, wir bleiben so lange da, bis Jupi das Tor trifft. Glaubt mir, das Flutlicht war an…“. Wir sind geneigt, Frank Kramer ähnliches Training zu empfehlen, zu diesem Zeitpunkt gibt es gefühlt mindestens fünf Jupis im Männerteam.

SturHartnäckigKämpferisch – Wir paddeln das Schulschiff

Kramer testet weiterhin Spieler und Taktiken. Die Spieler sind immer noch talentiert, die Taktiken immer noch variabler und besser anzuschauen als in der vorhergegangenen Spielzeit. Aber es führt weder zu Toren noch zu Ergebnissen. Der Unmut wächst, obwohl man deutliche Heimniederlagen gegen Leverkusen und Dortmund durchaus mit der Schlauchboot-neben-Hochseeyachten-Regatta erklären kann. Beim 1:1 in Augsburg, direkte Konkurrenz, ist das schon was anderes.

Ach ja, die Standards. Erst kommen die lang und bringen nix. Dann werden die Standards kurz gespielt. Und bringen auch nix. „Wieso diese kurzen Ecken?“, keift die Alm. Nun, weil die langen so erfolgreich waren.

Die Anhängerschaft teufelt auf Standardtrainer Iljia Gruev ein- ich glaube ja mittlerweile, dass die das einfach nicht können. Ist ja auch nichts Teuflisches, keiner kann alles. Ich zum Beispiel kann nicht tanzen, Langsamer Walzer, ChaChaCha und den ganzen Kram. Das kann ich auch üben, wie ich will, dat wird nix. Und was ChaChaCha für mich ist, ist halt Ecke für die Blauen.

Wir, die wir auf irgendeine Weise mit Arminia Bielefeld zu tun haben, rühmen uns ja, stur, hartnäckig und kämpferisch zu sein. Das Dumme dabei ist: Mit SturHartnäckigKämpferisch sind keine Inhalte verbunden. Die Geschäftsführung im Allgemeinen und Samir Arabi im Besonderen machen klar, dass Frank Kramer Trainer bleibt. Auch im Abstiegsfall. Die ziehen das durch mit dem Schulschiff, lies: Ausbildungsverein. SturHartnäckigKämpferisch.

Und wir Anhänger ziehen unseres auch durch, und das ist: Im Hier und Jetzt leben, „Typisch Arminia“ denken und mit allem unzufrieden sein. An einem Trainer festhalten ist jetzt nicht so „typisch Arminia“ – kann jemand noch alle Trainer seit Frontzeck unfallfrei aufzählen? Mit Frank Eulberg? Wohl aber das unzufrieden sein. Das treibt bisweilen unfassbar dämliche Blüten (in der Bahn zum BVB-Spiel: „Ich hoffe ja, dass die verlieren. Dann fliegt der Kramer.“). SturHartnäckigKämpferisch.

Manche machen den absoluten Tiefpunkt beim Nicht-Auftritt im Berliner Olympiastadion fest. Für mich war es das Spiel gegen die Meenzer, die uns ein paar Tage zuvor schon aus dem Pokal gekegelt haben. Das Schulschiff Arminia schipperte schon länger ziellos durch den Nebel, die Startelf hatte mehr Varianten als SarsCovid…SARSCo…die Krönchenbazille und die Spieltaktiken soviel Konzept wie der Kindergeburtstag beim Topfschlagen. So zumindest haben wir das gesehen.

Und gegen Mainz kippt dann das „Oh, wie ist das schön!“ in „Wir wollen Euch kämpfen sehn!“, „Kramer raus!“-Rufe und gewaltige „Ich habe recht!- „Nein, ich!“-Rasereien in den sozialen Medien. SturHartnäckigKämpferisch. Für den Verein ist das alles erledigt. Schulschiff. SturHartnäckigKämpferisch.

Und? Ruckelt’s?

So, jetzt mal was Schönes, und das kommt wie so oft vom Frauenteam. Da ruckelt es, dieses Schulschiff ist auf Kurs. „Schön hier!“, „Gemütlich hier!“, „Gut drauf, unsere Arminia!“, „Führung ist überfällig“, „Oh wo bleibt das 0:2“ (fällt kurz darauf), Trainer: „4-4-2…wollt Ihr umstellen?“, „Doch noch ihr Tor gemacht“, „Die schießen doch keine vier Tore mehr“, „Jetzt fällt das 4:0“ (fällt unmittelbar darauf), „Fünfter Sieg in Folge! Jäääi!“.

Das hören und sagen wir beim Auswärtssieg der Blauinnen in Budberg. Nach dem Pokalaus gegen Köln holen die Mädels 22 Punkte aus acht Spielen. Erst beim Spitzenreiter aus Gladbach muss sich Arminia geschlagen geben. Auf dem Truppenübungsgelände in Recklinghausen bleiben zwei Punkte liegen.

Und bei den Blauen? Da glättet der erste Saisonsieg in Stuttgart fürs Erste ein bisschen die Wogen. Soll heißen: Dreht die online-Raserei ein paar Dezibel leiser. Gegen Wolfsburg und Köln gibt es Punkte. Jeweils ein gewonnener und zwei eventuell-nicht-gewonnene. Wir sind uns nicht sicher, die Schaluppe ruckelt doch noch ziemlich doll.

Dann stellt Frank Kramer auf Viererkette um, was das Spiel deutlich stabilisiert. Das ist im ganzen Der-Die-Das-Raus! etwas untergegangen, aber man sollte es erwähnen, da es tatsächlich zu deutlichen Verbesserungen führte. Das Spiel bei Hertha kann man, wie schon angedeutet, über die Reling schmeißen. Aber dann klappt es. Gegen Bochum und bei RB steht die Kapelle hinten sicher und aufmerksam, spielt mutig nach vorne und ist vor der Kiste effektiv. Ob das ein Fingerzeig ist….?!

Wohin geht der Kurs? Eine offene Frage…

Was sieht das Schulschiff beim Blick durchs Fernglas? Was sieht das Schlauchboot beim Blick durch die Klopapierrolle? Eingeruckelt, die schwarzweißblaue Nuckelpinne?

Zum Abschluss der Hinrunde 2020/2021 haben die Blauen 17 Punkte und stehen auf Platz 15 der Bundesliga. Zum Abschluss der Hinrunde 2021/2022 sind es 16 Punkte, Platz 17, Abstiegsplatz mit Anschluss an die grüne Zone. Auch mit dieser Bilanz wäre der DSC vor Jahresfrist 15. gewesen. Der Abstiegskampf ist in diesem Jahr ein härterer Wettbewerb. Es gibt dieses Mal kein Schalke, dass einfach in Trümmer fällt. Kein Werder, dass nach dreißig Punkten den Klassenerhalt feiert und dann ohne Sicherungsseil abstürzt. Auch Köln weigert sich dieses Jahr, einen auf Diva zu machen.

Klar, Fürth wird nichts mehr reißen. Und mit Hertha und Stuttgart bieten sich Stand jetzt zwei Kandidaten an, die das Sicherungsseil vergessen haben. Es ist auch gut möglich, dass Bochum noch der Absturz bevor steht und/oder Augsburg sich wehrt. Jedenfalls wird der Abstiegskampf um einiges härter als in der Vorsaison. Die Spiele gegen die direkte Konkurrenz werden hohe Bedeutung haben.

Und da paddelt nun ein ostwestfälisches Schulschiff. Nein, es ist nicht wichtiger, ein Ausbildungsverein zu sein als die Klasse zu halten. Wir reden immer noch von Sport, von Wettbewerb, in dem es darauf ankommt, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Was anderes haben übrigens auch die Verantwortlichen nicht gesagt. Nur, dass sie im Fall eines Abstiegs an Frank Kramer festhalten.

Wir setzen nun also auf die Strategie Ausbildungsverein – das ging los mit der Neuhaus-Entlassung, setzte sich fort mit der Verpflichtung junger Spieler mit langfristigen Verträgen und im „Treuebekenntnis“ (was’n Pathos, ey) zu Frank Kramer. Wenn man ein Ausbildungsverein sein will, muss man irgendwann damit anfangen, wie einer zu planen und zu arbeiten und das war in 2021.

Stellen wir vor diesem Hintergrund die wirklich relevante Trainerfrage: Ist Frank Kramer der richtige Mann, um langfristig attraktiven Sport anzubieten, Talente zu entwickeln, eine Achse aus erfahrenen Spieler aufzustellen und mit dem zu erwartenden ständigen Kader-wechsel-Dich umzugehen? Ist er der richtige Steuermann für das Schulschiff Arminia? Hoffen wir auf eine schnelle, positive Antwort. Einen Klassenerhalt hat Kramer schon im Lebenslauf. Was uns zur nächsten wirklich relevanten Frage bringt: Wohin soll es gehen mit dem Ausbildungsverein? Top 25 im Profifußball? Vielleicht doch Top 15, wenn alles sportlich aufgeht? Das wird in jedem Fall spannend!

Klar ist Absteigen scheiße, klar regen wir uns dann alle auf. Ich mich auch! Sollen wir dann sauer sein ob der nicht ausgespielten „Konkurrenzfähigkeit“ oder aufgrund der Ausbildungsperspektiven in eine rosige Zukunft blicken (nein, die ist nicht unrealistisch!)? Wir müssen uns an eine neue Ausrichtung gewöhnen, so schwer es uns SturHartnäckigKämpferischen auch fallen wird. Burak Ince wünsche ich, dass er bei uns zu seinem und zu Arminias Vorteil einen Schritt nach vorne macht. Gonzalo Castro wünsche ich, dass er ChaChaCha, äh, Ecken kann.

Die Blauinnen haben herausgefunden, wie sie ihre jugendliche Talentsammlung effektiv auf den Platz bringen. Der Wiederaufstieg in die Zweite Liga ist unrealistisch – 13 Punkte Rückstand auf den Tabellenersten werden kaum aufzuholen sein. Aber spätestens jetzt, wo der Postheide-Fluch besiegt ist, haben die Mädels alle Zeit der Welt, sich weiterzuentwickeln, stärker zu werden, wenn alles passt, anzugreifen und zurückzukehren (nein, das ist nicht unrealistisch!) und uns durch frischen Ballsport Freude zu machen. Vielleicht versuchen wir mal, auch die Herren der schwarzweißblauen Schöpfung so zu sehen.

Es läuft alles darauf hinaus: Was ist langfristig möglich? Ich sage es mal so: Irgendwann ist eine Menge drin. Und das ist eine Prognose, die für Arminia Bielefelds Verhältnisse eine vielversprechende ist. Unterstützen wir sie dabei. Auch, wenn es nerven, auch wenn es weh tun wird!Vor allem die Geisterspiele, die erstmal wieder anstehen.

Das Wort des Jahres ist „Abseits“. „Ey, das WAR! KEIN ABSEITS!“. – „Doch, stell Dich mal hier hin, dann siehst Du das genau.“. Erlauscht während des Auftritts der Blauinnen bei Leverkusen II. Damit legt 2021 die Messlatte für 2022 mal richtig hoch!

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