Schwarzweißblaue Invasion- Hannover 96 gegen Arminia 0:2

Hannover 96 gegen Arminia 0:2 – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent

Hannover 96 gegen Arminia. Ostwestfalen unterwegs. Schwarzweißblaue Massenbewegung. Die größte seit der Völkerwanderung im 4. Jahrhundert. Die größte seit der großen Flucht 1958, als das Gülle-Silo von Bauer Tremmelkemper in Voßkuhle explodierte, woran sich heute zu Recht keiner mehr erinnern möchte. Spätestens aber die größte seit 2006, als Arminia in Hannover spielte. Ostwestfälische Massen in Bewegung sind immer etwas Besonderes. „Ey, der Zug fährt nach Paderborn, komm da wieder raus!“ – „Guck mal, da kommt ein Zug vorbei, Heeeeey!“. Der Zugbetreiber hat sich auf die spezielle Mentalität der SturHartnäckigKämpferischen vorbereitet:

Hannover 96 gegen Arminia

Es geht nach Hannover, da kommen wir als Freunde. Dennoch hat sich auch die niedersächsische Metropole auf die schwarzweißblauen Gästemassen vorbereitet. Originelle Namen für Einzelhandelsgeschäfte (zB „Edelunkraut“ für einen Blumenladen) sollen die Besucher in den Laden locken. Eine Massagevilla hat einen Verkehrstunnel komplett plakatiert, direkt neben dem Gastgeberclaim „Niemals Allein“ und unweit des Stadions haben die Häuser sogar die aktuelle Spielstärke der Blauen mit eingeplant:

5.000plus Arminen sind also beim Auftritt des DSC bei Hannover 96. Das Niedersachsenstadion bietet eine spezielle Perspektive, an die wir uns erst gewöhnen müssen. Als gelbe Hosen zum Warmmachen auf das grün joggen, jubelt Gästeblock erst, fragt dann aber sicherheitshalber nochmal beim Nebenmann: „Sind dat jezz unsere, oder wie?“. Jonathan Clauss ist „der mit den blauen Schuhen“ und Debütant Aléx Peréz ist wahlweise „der Neue“, „der Dings“ oder „der Spanier“. Diego Leon lässt grüßen.

Das Spiel Rote gegen Blaue ist erstmal unspektakulär. Hannover kann gegen die kompakt stehenden Arminen nichts tun, Arminia muss noch nichts tun. Das ist Gästeblock herzlich egal, die ersten zehn Minuten wird durchgesungen. Hier und da dringt noch der eine oder andere stadionimmanente Brüller durch: „Hand!“ bei einem Zweikampf im Mittelkreis, „Wäch!“, als etwas, das 96 für einen Seitenwechsel gehalten hat, im Aus landet. Und in einer Ecke gibt es das gewohnte Florian-Hartherz-ist-doof-Intermezzo.

So langsam fällt den Akteuren auf dem Rasen dann auch ein, dass die Tore keine – Zitat Benjamin Blümchen – „halben Hamsterkäfige“ sind. Tego guckt einen Hannoveraner Flatterball am Knick vorbei. Soukou, der den verletzten Ray Yabo sehr gut ersetzt, macht ein Zuma-Gedächtnis-Solo, übersieht Schussposition und Nebenleute und bleibt hängen. Kurze Massen-Facepalm im Gästeblock, bevor der Support weiter donnert. Die richtig geile Stimmung sorgt für richtig geiles Selbstbewusstsein: „Pass auf, der geht gleich nochmal durch, alle werden sowas von getunnelt und dann 1:0…wart’s ab!“.

Warten wir’s ab. Soukou ist zumindest auf rechts außen am Ball, strauchelt, wühlt sich im Liegen vor der Toraus-Linie noch den Ball zurecht-und kriegt den Freistoß. Den bringt Marcel Hartel auf den langen Pfosten. 96-Verteidiger Horn macht das, was jeder tun sollte, wenn von hinten der Schatten eines 12-Zylinder-Panzers auftaucht: Duck and Cover und das beste hoffen. Horn übersteht den Zweikampf mit Klos ohne größere Verletzungen.

Auch der Ball landet sanft. Im Tornetz. Im Gästeblock geht es weniger sanft zu. Alles brüllt, bis die Lunge im Dach hängt, fällt sich um den Hals und übereinander her…da sind auch die Barrieren egal. Noch unsortiert stimmt Gästeblock ein riesiges No Limit an. Stolz auf sich, stolz auf die Jungs. Echt mal abgezockt: Erste Chance, erste Kiste! Weiter singen bis zur Pause.

Halbzeit. Hannover hat eigene Normen für das Abfüllen und Transportieren von Hopfenlimo entwickelt. Die Becher sind aus Weichplastik – es empfiehlt sich, nicht zu fest zuzupacken, will man das kostbare Nass nicht über den Block verteilen. Transportiert wird in Papp-Paletten. Ich habe jede Menge davon gesammelt, um demnächst groß in den Straußeneier-Import/Export einzusteigen.

Kommunikation im Gästeblock ist immer eine schwierige Sache. „Micha! Micha!“. Hektisches Winken von schräg rechts unten nach schräg links oben. Der hilfsbereite Rundumbeobachter entschließt sich zur Hilfe, dreht sich um: „MICHAAAAAA!“ (der Rundumbeobachter kann brüllen, und wie!). Micha guckt und schräg rechts unten winkt. „Hey, Micha!“. Wie…das war alles?!

Gewohntes Hartherz-ist-doof-Intermezzo, bei dem der Nebenmann fast den Halt verliert und die harte Landung auf der Barriere noch so gerade verhindert. Ob man die Schuld wohl auch auf Hartherz schiebt, wenn man nach so einem Unfall in der San-Station wieder aufwacht?

Manchmal braucht es keinen Videobeweis, manchmal sieht man es selbst vom Gästeblock in Hannover aus im gegenüber liegenden Strafraum. Elfer für die Blauen, als Felipe Fabi abräumt. Vogi hat letztens noch gesagt, Arminia verschieße keine Elfmeter, da man gute Schützen hätte. Er lässt Taten folgen und sorgt für die Vorentscheidung.

Scheiß auf Barrieren! Alle in meine Arme! „Der Puls der Stadt, unsre Leidenschaft!“ NO LIMIT! In letzter Zeit gilt Arminia Bielefeld als eine konstant gut spielende Fußballmannschaft. Hannover 96 wirkt im Moment ziemlich angeknackst und so gönnt sich Gästeblock eine Runde Überheblichkeit. „Wer macht das nächste?“. „Wenn wir wiederwiederkomm‘ in die Bundesliga Eins“. Irgendwo johlt sogar einer was von „Europapokal!“. Europapokal? Oh je, das wird problematisch mit den ostwestfälischen Massen. Vor dem Spiel standen welche vor dem malerischen Hannoveraner Rathaus…“Ist das der Maschsee?“, „Ja…is…schon…schön“ – „Bielefeld ist doch irgendwie schöner…“. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass Arminia im europäischen Wettbewerb nach Florenz muss…so viele Klinikplätze für Ostwestfalen, die unter Reizüberflutung zusammengebrochen sind, haben die Florentiner gar nicht, fürchte ich…

Angeknackste Hannoveraner, souveräne Arminen. Gästeblock feiert durch. „In Bielefeld singt man Trallala“ und das zehn Minuten lang, bis das „Trallala“ vom „Immer dabei“ abgelöst wird. Man ist satt und fröhlich: „Angetrunken machen solche Spiele mal echt weniger Stress!“. Was ist aber los mit unseren Freunden aus Hannoi? Spätestens mit dem Platzverweis für Waldemar Anton ist das Ticket gestempelt. Viele verlassen das Niedersachsenstadion, die Pfiffe sind sogar durch unser Gebrüll zu hören. Ist Arminia zu gut und Hannover zu blutleer? Nun…beides.

Und dann ist es vorbei. Eine taktisch souveräne und abgewichste Leistung beschert unseren Blauen einen Auswärtsdreier beim Erstliga-Absteiger. Gutes Spiel, Rekord-Auswärtsmob, Wahnsinnsstimmung, mit den Mannschaft Minuten lang feiern…

…es ist jetzt etwa 20 Stunden später, und ich will mir immer noch’ne Sonnenbrille aufsetzen. YEAH!

VAR (Visuell aufmerksamer Rundumbeobachter):

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