Carnaval korrupt do Brasil 2014

Heute geht sie nun los, die 20. Fußballweltmeisterschaft, der „Carnaval do Brasil“. Nein, diese Bezeichnung ist nicht gewählt, weil gefühlt alle auf diese windschnittige Klischeephrase zurückgreifen. Sie hat auch nichts zu tun mit der heutigen Eröffnungsfeier, die sicherlich eine Fülle von avangardistisch-karnevalistischen Elementen für denjenigen bereithält, der auf den Anstoß des Eröffnungsspiels wartet. Nein, Fußballweltmeisterschaften haben einige Parallelen zum Karneval: Sie kehren regelmäßig wieder, die „elf“ ist irgendwie wichtig, die Massen feiern und der Arbeitgeber drückt ein Auge zu, wenn man während der tollen Tage mit den Augen im Untergeschoss auf der Schicht erscheint.

Carnaval do Carnaval

Karneval und Fußball-WM müssen außerdem von hochwichtig zuständigen Funktionären organisiert werden, egal, ob sie nun schwarze Funken, FIFA, weiße Tanzmariechen, zuständige Regierung, Konzerne oder blaues Festkomitee heißen. Im letzten Jahr durfte ich während der Session in Münster einem Zeitgenossen in Funkenuniform lauschen, der mitten im Linienbus lauthals kundtat, seine Karnevalsgesellschaft würde das mit dem Umzugswagen schon hinkriegen, die Mitglieder hätten allesamt die Beitragserhöhung dafür gezahlt und es würde sogar noch ein Sektchen für den Vorstand der Karnevalsgesellschaft übrig bleiben. Solches oder ähnliches haben wohl auch die brasilianischen Funktionäre in ihren verteuerten Linienbussen verkündet, als die Gesellschaft für den Bau von Wegwerfstadien geschröpft und die Sektfässer – lies: Förderpools – zum Eigenbedarf angebohrt wurden.

Carnaval

Natürlich kann man kritisieren, dass bei solcherlei Praxis der traditionelle Charakter des Karnevals bzw. Fußballs auf der Strecke bleibt. Nun ja, das betrifft aber nicht nur Funktionäre, sondern auch große Teile der Bevölkerung. In den hiesigen Karnevalshochburgen wird die „Verballermannisierung“ des Karnevals beklagt. Der Karneval sei „entwurzelt“ – Einziges Ziel sei es nur noch, sich als verkleidete Masse zu jaulender Kirmesmucke bis zu den Stirnhöhlen abzufüllen. Ein Bild, das doch recht deckungsgleich auf die hiesigen Fanmeilenhochburgen anwendbar ist mit der Ausnahme, dass dabei zwischendurch noch ein Fußballspiel auf der Großleinwand läuft.

Carnaval

Und wenn wir schon beim Verwischen von Brauchtümern sind: Karneval gilt hierzulande als kulturpolitischer Streich, bei der man sich, verkleidet und in Bierlaune, über Obrigkeiten und Prominente lustig macht, was diese dann auch mit zwinkerndem Auge ertragen. Eben diese augenzwinkernde Bierlaune scheint der brasilianischen Upper Class abzugehen. Meldungen über Maßnahmen der brasilianischen Regierung zugunsten des Turniers und zu Lasten der eigenen Leute hört man öfter als grauenhafte teutonische WM-Hits.

Ebenso wie die Karnevals-Party-People vergessen die WM-Funktionär-People: Der Karneval ist die letzte große Sause vor der Fastenzeit. Und wenn die Seleção, die in ein paar Stunden das Turnier eröffnet, nicht den Titel nach Hause holt, wird man der brasilianischen Bevölkerung erklären müssen, warum Fördergelder in ein Sektfass ohne Boden gekippt, Wegwerfstadien mitten in den Dschungel gebaut, öffentliche Leistungen verteuert, Favelas zwangsumgesiedelt und Straßen ethnisch gereinigt wurden. Dann steht Brasilien ein ziemlich karge Fastenzeit ins Haus. Carnaval!

In diesem Sinne, Helau Seleção!

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