Arminia gegen SV Darmstadt 98 3:1 – Rundumbeobachtungen von Jan-Hendrik Grotevent
Eskalatioooooon! Das steht so im Titel, und alle, die diese Rundumbeobachtungen angeklickt haben (Danke und Willkommen im Text!), wissen auch, warum. Weil 3:1 und so. Eskaliert ist es aber schon in der Woche zuvor. Arabi raus und Scherning raus. Das hat selbst der schwarzweißblaue Wochenkalender nicht ahnen können, und der kommt auf viele dumme Ideen.
Noch vor einer Woche hat es überall rund um Lohmanns Acker geheißen, alles werde gut, wenn Geschäftsführer Sport und Cheftrainer erstmal vor die Almtore gesetzt wären. „Raus“ und alles wird automatisch gut. Optimismus durch „Raus“…das ist, als würde man seine Wohnung kündigen, im Nieselregen auf der Straße stehen und sagen: „So. Jetzt suche ich mir irgendwie ein Haus.“
Vor Arminia gegen SV Darmstadt 98 ist, um im Bild zu bleiben, die Stimmung rund um den Tempel etwa so: „Ui…im Moment stehen wir im Nieselregen…ui…lass mal trotzdem nach Häusern gucken.“ Mal schauen, ob ich die Zeit finde, mich mit dem schwarzweißblauen Rein-Raus-Spiel der letzten Woche noch satirisch oder sachlich oder beides auseinanderzusetzen. Um der Realität genüge zu tun: Der Sieg gegen Darmstadt war ein Schritt Richtung Haus. So, und jetzt will ich endlich davon erzählen.
Der neue Chefcoach heißt jedenfalls Uwe Koschinat und hat jede Menge gute Fotoposen am Start…
…und Kredit beim ostwestfälischen Publikum. Man möchte sich gar nicht ausmalen, was los gewesen wäre, hätten Scherning oder Forte oder Kramer Prietl und Gebauer in die Startelf gestellt.
Die ersten Minuten des Spiels gehören dem hessischen Gast, der nach zwei Zeigerumdrehungen schon gefühlte 19 Ecken hat. Zumindest so viele, dass Block 3 dem zum Eckstoß antretenden Fabian Schnellhardt ein herzliches „Rutsch’ aus!“ wünschen kann. Die nächsten Minuten kreiseln die Lilien weiter um den Arminia-Strafraum herum, der mit vereinten Kräften verteidigt wird. Ab und an spähen die Blauen auch nach Gegners Strafraum aus, kommen aber erstmal nicht näher.
Schließlich hat sich der DSC ins Match hinein gekämpft und die erste Fette. Vasiliadis haut auf den langen Pfosten, Fabi schlittert knapp vorbei. Solche Szenen sehen von Block 3 immer ein bisschen so aus, als donnere unser Rekord-Käptn mit vollem Dampf vor den Pfosten. Liegt natürlich an der Perspektive, aber Block 3 hat so gleich mehrere Anlässe, in dieser Szene ein kollektives „Oooouuuuh!“ in den Sonnenhimmel zu röhren.
Positiv zu erwähnen: Das Spiel kommt ohne Strafkarten aus. Es ist nicht körperlos, aber die großen Gemeinheiten kommen heute nicht vor. Das ist auch besser so, denn der SchiRi achtet zwar auf korrekt ausgeführte Einwürfe, drückt aber bei Undiszipliniertheiten wie von Lasme in der zweiten Halbzeit oder von Darmstadts Nummer 40 in der ersten auch die Videoaugen zu. „Geeeelb, du Ochse“, schimpft Block 3 poetisch. Um sich dann zu informieren: „Hat der irgendwas gepfiffen?“ – „Ja, irgendwas.“
„Allez Alleeeeez Deutscher Sportclub Alleeeeez“, singt Block 1. Das Spiel allez-alleeeeezt auch so vor sich hin. Wie in den Längephasen bei Spielen üblich, bespricht Block 3 andere wichtige Dinge: „Hups, tschulligung!“ – „…wat?“ – „Hab Dich gerade beim Vorbeigehen geschubst.“ – „Oh, dann muss ich mich jetzt wohl auch fallenlassen wie die da aufm Platz…[schaut auf die ziemlich stabilen und ziemlich dreckigen Betonstufen der Süd]…ach nee, lass mal.“ – „Jau, lass mal. [guckt ebenfalls] Tut weh.“. Vielleicht ist das ein Weg, den vielen Profiballtretern weltweit die seit ein paar Jahren grassierende Fallsucht und das darauf folgende Selbst-zum-Intensivpatienten-Ernennen abzugewöhnen. Einmal Abrollen trainieren auf Block 3 und keiner rollt mehr!
Bis zur Pause passiert nichts mehr und Block 3 mit seiner gefürchteten Massenweisheit zieht Pausenbilanz. „Da kann man ja nur gewinnen…oder nicht…“ Eeeeeecht!? „Spiel ist so lala, aber das Ergebnis nehm’ ich.“ Echt!
Halbzeit. Über Jahre und Jahrzehnte haben sich Transportwege, Logistikstrukturen und Distributionsprozesse zur Getränkeversorgung auf der Südtribüne entwickelt. Warum – ich frage es in die interessierte und erfahrene Runde – WARUM steht trotzdem jemand während der Pause auf Block 3 und brüllt „Kaffee? Gibt’s hier mal’n Kaffee? Hat hier einer Kaffee?“
Nehmen wir den Faden wieder auf: Spiel so lala, aber Ergebnis nehme ich. Am besten jetzt abpfeifen! So habe ich mir das gegen Heidenheim nach einer Viertelstunde, in Braunschweig nach 20 Minuten gewünscht. Hat beides nichts genützt. Und dieses Aufeinandertreffen Arminias mit Darmstadt 98 fühlt sich auch wie das Heidenheim-Spiel an. Ordentlicher Kampf, aber ein Fehler reicht…jupp. 0:1. „Ach komm“, sagt Block 3, „ohne konzentrierte Abwehr hätten wir schon drei gekriegt.“ So kriegen wir mit konzentrierter Abwehr eins.
Doch anders als in vielen Heimspielen zuvor kippt die Aura nicht. Denn Arminia kämpft und schnürt die Zwiebelblumen ein. „Ey, wie schlecht ist eigentlich Darmstadt?“, meint Block 3, „die sind Tabellenführer!“- „So wie Heidenheim.“ – „Nee, Heidenheim war so gut, weil die so schlecht sind.“. Wenn man länger darüber nachdenkt, landet man irgendwann zwischen Gummiwänden und sagt „Gugagugögö“. So schlecht (oder gut?) ist Darmstadt übrigens nicht, Prietl kratzt einen Ball von der Linie und verhindert damit den K.O.
Block 3 ist sicher: „Wir haben Darmstadt 98 am Rande einer Niederlage.“. Ganz so weit ist es noch nicht, Hack scheitert am Torwart, Gebauer und Consbruch versuchen sich aus der Distanz und Fabi köpft – OOOOUUUUH! – knapp drüber.
Weiter geht es mit leidenschaftlichen Arminia Angriffen und Gugagugögö auf der Tribüne. „Wieso sind Ecken gegen Arminia eigentlich so gefährlich und Ecken für Arminia so harmlos?“. Ausgerechnet in diesem Moment legt Fabi eine Hack-Ecke zurück und – JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!
Können wir jetzt bitte mal über Schlusspfiffe reden? HeidenheimBraunschweigBLÄRG DarmstadtBesser? Nein!! „Wir sind dran!“, brüllt Block 3, „BIE-LE-FELD! BIE-LE-FELD!“, brüllt die Alm…(auf Arminias Homepage heißt das: „Sowohl die Mannschaft als auch die Fans glauben weiterhin an einen möglichen Sieg.“). Und was jetzt kommt ist ESKALATIOOOOOOON!
Arminia hängt sich rein, Arminias Fans hängen sich rein. Wie Kanuric an den Ball kam, habe ich kaum gesehen, aber DER EINSCHLAG! Block 3 fällt übereinander her, irgendwo in den Augenwinkel nehme ich wahr, dass das ganze Team – Mannschaft, Betreuer, Ergänzungsspieler, alle – übereinander herfällt. Die Alm ist eine brüllende Massenumarmung. Als ich wieder zu mir komme, stelle ich fest, dass ich fünf Meter tiefer auf der Tribüne stehe als vorher.
Haltet sie weg, nur noch die Nachspielzeit. Einwurf Darmstadt, ihr allzu eifriger Keeper köpf blind nach rechts…Fabi ZIEH DRAUF! JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!
Noch drei Meter tiefer und komplett ohne Stimme wieder in die Realität zurückgekehrt. Ich habe es noch nie erlebt, dass jubelnde Arminen auf den Wellenbrechern von Block 3 standen. Wahnsinn! Sieg! Und was für einer!
Arminia hat endlich mal Leistung gezeigt und sich dafür belohnt. Am Freitag nachlegen, DSC!
Applaus gibt es für Arminia. Einen Rückstand gedreht, gekämpft, Fußball gespielt, Prietl trifft, ein bisheriger Bankdrücker schießt einen Tor-des-Monats-Kandidaten, Fabi mit wieder entdeckter Schlitzohrigkeit, die heftigsten Torjubel seit Bruno Labbadia damals in Gütersloh. Das alles gegen den Tabellenführer der Zweiten Liga. Das waren nicht nur umgestoßene Knoten oder geplatzte Böcke, das waren gebrochene Dämme. Tut. Das. GUT!
Gegen Darmstadt hat Arminia immer gut ausgesehen. Mit einer Ausnahme, die natürlich in der „Fußballfibel DSC Arminia Bielefeld“ Erwähnung findet. Wie andere schwarzweißblaue Lagerfeuergeschichten. Das Buch gibt es bei Thalia. Oder bei amazon. Oder im Fanladen. „90 Minuten Arminia“ habt Ihr schon (auch da kommen die Frauen drin vor)…?